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Der Aktivismus als höchstes Stadium der Entfremdung

Montag 6. Mai 2013

Trotz einigen Widersprüchen wirft dieser Text einige wichtige Fragen auf. Wie die Situationisten möchten auch die Autoren dieses Texts nach der Revolution zu Arbeitern werden, obwohl sie es davor nicht sind oder nicht sein wollen. Nur, wieso sollten wir vor der Revolution nicht arbeiten und dann die Revolution machen, um zu Arbeitern zu werden? Dieser Widerspruch zeugt vom Ende des vorhergehenden Kampfzyklus. Die radikale Kritik der Arbeit und der Politik drückt einen Bruch in der Theorie der Revolution aus, der, als Ausdruck des sich zu Ende neigenden Kampfzyklus, trotzdem die Affirmation der Klasse zur Schlussfolgerung hat. Die Einführung und die Anmerkungen sind der englischen Übersetzung entnommen.

Einführung

Der Text wurde 1972 in Frankreich von der Organisation des jeunes travailleurs révolutionnaires (OJTR) erstmals veröffentlicht.

Die OJTR formierte sich in den frühen 1970er Jahren. Zu Beginn war sie von der Situationistischen Internationalen inspiriert, obwohl sie später ein Pamphlet veröffentlichte, das eine lange Kritik derselben enthielt. (Die Einfluss der SI zeigt sich im Text. In der Entwicklung des Konzepts des Aktivismus erscheinen Themen, die man in manchen situationistischen Texten findet und der Einfluss der SI zeigt sich auch im Konzept der Räteorganisation in den letzten Absätzen.) Danach war die OJTR vom Linkskommunismus beeinflusst, im speziellen von der Mischung von deutschen und italienischen linkskommunistischen Ideen, die vom Milieu rund um die Buchhandlung La Vieille Taupe entwickelt wurden, auch die Gruppe Le mouvement communiste kam aus diesem Milieu.

Die Gruppe produzierte auch Texte unter dem Namen Quatre millions de jeunes travailleurs [Vier Millionen junge Arbeiter], der Name einer 1971 gegründeten Jugendpublikation des PSU (Parti socialiste unifié – eine kleine französische linkssozialistische Partei). Die OJTR organisierte 1974 eine nationale Konferenz (welche in einem Artikel der La Banquise als gescheitert beschrieben wird) und verschwand kurz darauf. (Es ist angemessen, sich zu fragen, wie weit die OJTR die Kritik des Aktivismus auf sich selber anwendete.) Von den Überresten der Gruppe kam der Text Un monde sans argent: le communisme [Eine Welt ohne Geld: der Kommunismus], der als dreiteiliges Pamphlet zwischen 1975 und 1976 von „Les amis de 4 millions de jeunes travailleurs“ [„Die Freunde von den vier Millionen jungen Arbeitern“] veröffentlicht wurde.

Der Aktivismus als höchstes Stadium der Entfremdung

Der Revolutionär steht zum Aktivisten wie der Wolf zum Schaf.

Nach den Besetzungen im Mai 68 entwickelte sich links von der Kommunistischen Partei und der CGT [1] ein Ensemble von kleinen Organisationen, die sich auf den Trotzkismus, den Maoismus und den Anarchismus beriefen. Trotz der geringen Zahl von Arbeitern, die sich ihnen angeschlossen haben, erheben sie gegen die traditionellen Organisationen den Anspruch der Kontrolle der Arbeiterklasse, als deren Avantgarde sie sich proklamieren.

Die Lächerlichkeit ihrer Vermessenheit kann einem zum Lachen bringen, doch darüber zu lachen, reicht nicht. Man muss weitergehen, verstehen, weshalb die moderne Welt diese extremistischen Bürokratien hervorbringt und den Schleier ihrer Ideologie zerreissen, um ihre wahre historische Rolle zu entdecken. Die Revolutionäre müssen sich so weit möglich von diesen linken Organisationen abgrenzen und zeigen dass, weit davon entfernt, die Ordnung der alten Welt zu bedrohen, die Aktion dieser Gruppen im besten Fall höchstens zu ihrer Wiederaufbereitung führen kann. Mit der Kritik an ihnen zu beginnen, bedeutet der revolutionären Bewegung, die sie, unter der Drohung, von ihnen liquidiert zu werden, liquidieren werden muss, den Boden zu bereiten.

Der erste Ansatz, der einem in den Sinn kommt, ist es, ihre Ideologie anzugreifen, den Archaismus oder den Exotismus derselben aufzuzeigen (von Lenin zu Mao) und die Verachtung der Massen, die sich unter ihrer Demagogie versteckt, ans Licht zu bringen. Doch das wird schnell langweilig, wenn man in Betracht zieht, dass es eine Unzahl von Organisationen und Tendenzen gibt, denen die Behauptung ihrer kleinen ideologischen Originalität am Herzen liegt. Andererseits bedeutet es, sich auf ihr Terrain zu begeben. Eher noch als ihre Ideen, ist es angemessen die Tätigkeit anzugreifen, die sie im „Dienst ihrer Ideen“ an den Tag legen: den AKTIVISMUS.

Wenn wir den Aktivismus global angreifen, bedeutet das nicht, dass wir die zwischen den verschiedenen Organisationen existierenden Unterschiede verneinen. Doch wir denken, dass trotz und sogar wegen ihrer Wichtigkeit, diese Unterschiede nur klar erklärt werden können, wenn man die Wurzel des Aktivismus angreift. Die diversen Arten des Aktivismus sind nur voneinander abweichende Antworten zu einem gleichen grundlegenden Widerspruch, für welchen niemand die Lösung hat.

Indem wir uns im Lager jener positionieren, deren Kritik die Tätigkeit des Aktivisten zur Grundlage nimmt, unterschätzen wir nicht die Rolle der Ideen im Aktivismus. Es geht einfach darum, dass es, vom Moment an, wo diese Ideen vorangestellt werden, ohne mit der Tätigkeit verbunden zu sein, wichtig ist, zu wissen, was sie verstecken. Wir werden die Kluft zwischen ihnen zeigen, wir werden die Ideen mit der Aktivität verbinden und den Einfluss der Tätigkeit auf die Ideen ans Licht bringen: Hinter der Lüge die Wirklichkeit des Lügners finden, um die Wirklichkeit der Lüge zu verstehen.

Wenn auch die Kritik und die Verurteilung des Aktivismus eine notwendige Aufgabe der revolutionären Theorie ist, so kann sie doch nur vom „Standpunkt“ der Revolution erfolgen. Die bürgerlichen Ideologien können die Aktivisten als gefährliche Gauner, als manipulierte Idealisten behandeln oder ihnen den Rat geben, ihre Zeit mit Arbeiten oder Ferien zu verbringen; sie können jedoch den Aktivismus nicht in seiner Tiefe angreifen, denn das ist gleichbedeutend mit der Tatsache, das Elend aller Tätigkeiten, welche die moderne Gesellschaft erlaubt, ans Licht zu bringen. Wir verstecken unsere Voreingenommenheit nicht, unsere Kritik wird nicht „von allen Standpunkten aus objektiv und gültig“ sein.

Diese Kritik des Aktivismus ist untrennbar mit dem Aufbau revolutionärer Organisationen verbunden, nicht nur weil die Aktivistenorganisationen ununterbrochen bekämpft werden müssen, sondern auch weil der Kampf gegen die Tendenz zum Aktivismus auch innerhalb revolutionärer Organisationen geführt werden muss. Dies wohl, weil diese Organisationen, zumindest am Anfang, häufig zu einem beträchtlichen Teil aus „reuigen“ ehemaligen Aktivisten bestehen, doch auch weil der Aktivismus sich auf die Entfremdung von jedem von uns stützt. Die Entfremdung verschwindet nicht wie von Zauberhand und der Aktivismus ist die charakteristische Falle, die die alte Welt den Revolutionären stellt.

Was wir von den Aktivisten sagen, ist hart und unwiderruflich. Wir sind tatsächlich zu keinem Kompromiss mit ihnen bereit, es sind nicht Revolutionäre oder Halbrevolutionäre, die sich irren, sondern Leute, die unter der Revolution bleiben. Doch das bedeutet überhaupt nicht 1. dass wir uns von dieser Kritik ausschliessen, wenn wir klar und deutlich sein wollen, so ist es zuerst uns selbst gegenüber, und 2. dass wir den Aktivisten als Individuum verurteilen und aus dieser Verurteilung eine moralische Angelegenheit machen. Es geht nicht darum, in die Trennung zwischen Guten und Bösen zurückzufallen. Wir unterschätzen die Versuchung des „je mehr ich über die Aktivisten fluche, desto eher beweise ich, dass ich keiner bin und vor der Kritik sicher bin“ nicht.

DER MASOCHISMUS

Strengen wir uns an, die Langeweile zu überwinden, welche die Aktivisten natürlicherweise verbreiten. Beschränken wir uns nicht darauf, die Phrasendrescherei ihrer Pamphlete und Diskurse zu entschlüsseln. Prüfen wir sie hinsichtlich der Gründe, welche sie zum Aktivismus gebracht haben. Es gibt keine Frage, die für einen Aktivisten unangenehmer sein könnte. Im schlimmsten Fall werden sie mit endlosem Geschwätz über das Elend der Kinder in der dritten Welt, die Splitterbomben, die Preiserhöhung, die Repression anfangen. Im besten Fall werden sie erklären, dass, bevor sie sich der wahren Natur des Kapitalismus bewusst geworden sind – sie hängen stark an dieser berühmten „Einsicht“ –, sie sich entschieden haben, für eine bessere Welt zu kämpfen, für den Sozialismus (den richtigen, nicht den anderen). Ganz enthusiastisch von diesen begeisternden Perspektiven konnten sie nicht widerstehen, sich auf die Bedienung des nächsten Kopiergerät zu stürzen. Versuchen wir, die Frage zu ergründen und richten wir unseren Blick nicht mehr auf das, was sie sagen sondern auf das, was sie leben.

Es besteht ein enormer Widerspruch zwischen dem, was sie zu wünschen behaupten, und dem Elend und der Ineffizienz ihres Tuns. Die Mühe, zu welcher sie sich zwingen, und die Dosis von Langeweile, die sie bereit sind auszuhalten, lassen nicht den geringsten Zweifel: Diese Leute sind allen voran Masochisten. Abgesehen davon, dass man in Anbetracht ihrer Tätigkeit nicht glauben kann, dass sie tatsächlich ein besseres Leben wünschen, ist ihr Masochismus überhaupt nicht originell. Falls einige Perverse eine Fantasie haben, welche die Armut der Regeln der alten Welt ignoriert, so ist das sicher nicht der Fall für die Aktivisten! Sie akzeptieren in ihren Organisationen die Hierarchie und kleine Chefs, obwohl sie behaupten, die Gesellschaft davon befreien zu wollen, und die Energie, die sie aufwenden, richtet sich spontan nach der Form der Arbeit aus. Denn der Aktivist ist Teil jener Art von Leuten, für welche acht bis neun Stunden tägliche Verblödung nicht genug sind.

Wenn die Aktivisten versuchen, sich zu rechtfertigen, bringen sie es höchstens fertig, ihre mangelnde Vorstellungskraft zur Schau zu stellen. Sie können nichts anderes konzipieren, eine andere Form der Tätigkeit, als das, was aktuell existiert. Für sie sind die Trennung zwischen dem Ernsten und dem Amüsanten, den Mitteln und den Zwecken nicht mit einer gewissen Epoche verbunden. Es sind ewige und unüberwindbare Kategorien: Wir werden später nur glücklich sein können, wenn wir uns jetzt aufopfern. Die Aufopferung ohne Belohnung von Millionen von Arbeiteraktivisten, Generationen der stalinistischen Epoche ändert in ihren kleinen Köpfen überhaupt nichts. Sie sehen nicht, dass die Mittel die Zwecke bestimmen und dass sie, indem sie heute akzeptieren, sich aufzuopfern, die Aufopferungen von morgen vorbereiten.

Die Ähnlichkeiten zwischen dem Aktivismus und der religiösen Tätigkeit sind frappant. Man findet die gleichen psychologischen Haltungen: Opferbereitschaft, aber auch Unnachgiebigkeit, Wille zur Bekehrung, Unterwerfungsbereitschaft. Diese Ähnlichkeiten können auf die Domäne der Riten und der Zeremonien ausgedehnt werden: Predigten über die Arbeitslosigkeit, Prozessionen für Vietnam, Referenzen zu den heiligen Texten des Marxismus-Leninismus, Kult der Embleme (rote Fahnen). Schliesslich haben die politischen Kirchen auch ihre Propheten, ihre grossen Priester, ihre Bekehrten, ihre Ketzereien, ihre Glaubensspaltungen, ihre Praktikanten-Aktivisten und ihre Nicht-Praktikanten-Sympathisanten! Doch der revolutionäre Aktivismus ist nur eine Parodie der Religion. Der Reichtum, die Demenz, die Masslosigkeit der religiösen Projekte liegt ihm fern; er strebt nach dem seriösen, will vernünftig sein, er glaubt im Gegenzug ein Paradies hier auf Erden zu gewinnen. Sogar das ist ihm verwehrt. Jesus Christus ist wieder auferstanden und zum Himmel aufgefahren, Lenin verrottet auf dem Roten Platz.

Wenn auch der Aktivist betreffend der Offenherzigkeit seiner Illusionen mit dem Gläubigen verglichen werden kann, so ist es doch angemessen, ihn ganz anders zu betrachten in Bezug auf seine wirkliche Haltung. Die Aufopferung der Karmeliterin, die sich einsperrt, um für das Heil der Seelen zu beten, hat sehr beschränkte Auswirkungen auf die gesellschaftliche Wirklichkeit. Ganz anders verhält es sich mit dem Aktivisten. Seine Aufopferung hat unter Umständen fatale Konsequenzen für die gesamte Gesellschaft.

DER AUFSTIEGSWUNSCH

Der Aktivist spricht viel von den Massen. Sein Handeln ist auf sie ausgerichtet. Es geht darum, sie zu überzeugen, sie zur „Einsicht“ zu bringen. Doch der Aktivist ist von den Massen und ihren Möglichkeiten zur Revolte getrennt. Und dies weil er von SEINEN EIGENEN WÜNSCHEN GETRENNT ist.

Der Aktivist spürt die Absurdität der Existenz, die man uns auferlegt. Indem er sich für den Aktivismus „entscheidet“, versucht er, eine Lösung für die Diskrepanz zu finden, die zwischen seinen Wünschen und seinen wirklichen Lebensmöglichkeiten existiert. Es ist eine Reaktion gegen seine Proletarisierung, gegen das Elend seines Lebens. Doch er engagiert sich in einer Sackgasse.

Obwohl er unzufrieden ist, ist der Aktivist unfähig, sich zu seinen Wünschen zu bekennen und sich mit ihnen zu konfrontieren. ER SCHÄMT SICH IHRER. Das führt dazu, dass er den Aufstieg seiner Wünsche mit dem Aufstiegswunsch ersetzt. Aber seine Schuldgefühle sind derartig, dass er nur einen hierarchischen Aufstieg im Rahmen des Systems ins Auge fassen kann oder eher nur bereit ist, für einen guten Platz zu kämpfen, wenn er gleichzeitig die Garantie hat, dass es nicht für ihn selbst ist. Sein Aktivismus erlaubt es ihm, sich zu erheben, sich auf einen Sockel zu stellen, ohne dass dieser Aufstieg für ihn selbst und die anderen als das erscheint, was er ist. (Letztendlich ist der Papst auch nur der Diener der Diener Gottes!)

Sich in den Dienst seiner Wünsche zu stellen, bedeutet überhaupt nicht, in sein Schneckenhaus zu flüchten und hat nichts mit kleinbürgerlichem Individualismus zu tun. Das kann im Gegenteil nur durch die Zerstörung des egoistischen Panzers geschehen, in welchem uns die bürgerliche Gesellschaft einschliesst, und durch die Entwicklung einer wahren Klassensolidarität. Der Aktivist, der von sich behauptet, sich in den Dienst des Proletariats zu stellen („Die Arbeiter sind unsere Meister“, Geismar [2]) stellt sich einzig und allein in den Dienst der Idee, welche er von den Interessen des Proletariats hat. Durch einen nur anscheinenden Widerspruch hilft man also wirklich den anderen auf einer Klassenbasis, indem man sich wirklich in den Dienst seiner selbst stellt, und indem man sich in den Dienst der anderen stellt, beschützt man eine persönliche hierarchische Position.

Aktivismus bedeutet, nicht die Transformation seines alltäglichen Lebens anzustreben, nicht direkt gegen das, was unterdrückt, zu revoltieren, sondern im Gegenteil dieses Terrain zu meiden. Dieses Terrain ist jedoch das einzig revolutionäre, wenn man weiss, dass unser alltägliches Leben vom Kapital kolonisiert und von den Gesetzen der Warenproduktion bestimmt ist. Indem er sich politisiert, sucht der Aktivist eine Rolle, die ihn über die Massen erhebt. Ob dieses „Darüber“ die Form von „Avantgardismus“ oder „Pädagogismus“ annimmt, ändert nichts an der Sache. Er ist schon nicht mehr der Proletarier, der nichts anderes als seine Illusionen zu verlieren hat; er hat eine Rolle zu verteidigen. In Zeiten der Revolution, wenn alle Rollen unter dem Druck des Wunsches, hemmungslos zu leben, ins Wanken geraten, ist die Rolle des „bewussten Revolutionärs“ jene, welche am besten überlebt.

Durch den Aktivismus gibt er seiner Existenz Gewicht und seinem Leben einen Sinn. Doch er findet diesen Sinn nicht in sich selbst, in der Wirklichkeit seiner Subjektivität, sondern in der Unterwerfung unter äussere Notwendigkeiten. Genau wie er bei der Arbeit den Regeln, die er nicht kontrollieren kann, unterworfen ist, gehorcht er als Aktivist den „Notwendigkeiten der Geschichte“.

Natürlich kann man nicht alle Aktivisten in den gleichen Korb werfen. Alle sind nicht gleich schwer erkrankt. Man findet unter ihnen einige Naive, die auf Abwege geraten sind, da sie nicht wissen, was mit ihrer Freizeit anstellen, sie sind angetrieben von der Einsamkeit und getäuscht durch die revolutionäre Phrasendrescherei; sie werden den erstbesten Vorwand zum Anlass nehmen, sich auf und davon zu machen. Der Kauf eines Fernsehers, die Begegnung mit der Seelenverwandten oder die nötigen Überstunden, um das Auto zu zahlen, dezimieren die Ränge der Armee der Aktivisten!

Die Gründe, die einem zum Aktivismus bewegen, sind alt. Im Grossen und Ganzen sind es die gleichen für gewerkschaftliche, katholische oder revolutionäre Aktivisten. Das Wiederaufkommen eines revolutionären Massenaktivismus hat mit der aktuellen Krise der Warengesellschaften und der Rückkehr des alten revolutionären Maulwurfs zu tun. Die Möglichkeit einer sozialen Revolution scheint gut genug, dass die Aktivisten auf sie setzen. All das wird durch das Zusammenbrechen der Religionen verstärkt.

Der Kapitalismus braucht keine religiösen Belohnungssysteme mehr. Er hat seine Reife erreicht und braucht nicht mehr zusätzliches Glück im Jenseits zu offerieren, sondern er offeriert alles Glück hier auf Erden, durch den Konsum von materiellen, kulturellen und spirituellen Waren (die metaphysische Furcht verkauft sich gut!) Von der Geschichte überholt können die Religionen und ihre Gläubigen nur noch zur sozialen Aktion übergehen – oder zum Maoismus.

Der linke Aktivismus betrifft vor allem gesellschaftliche Kategorien auf dem Weg beschleunigter Proletarisierung (Gymnasiasten, Studenten, Lehrer, sozio-erzieherisches Personal...), welche nicht die Möglichkeit haben, konkret für kurzfristige Vorteile zu kämpfen und für welche die Tatsache, wirklich revolutionär zu werden, eine sehr tiefe persönliche Infragestellung voraussetzt. Der Arbeiter ist wesentlich weniger Komplize seiner gesellschaftlichen Rolle als der Student oder der Lehrer. Der Aktivismus ist für letztere eine Kompromisslösung, die ihnen erlaubt, sich für ihre schwankende gesellschaftliche Rolle einzusetzen. Sie finden im Aktivismus eine persönliche Wichtigkeit, welche die Verschlechterung ihrer gesellschaftlichen Position ihnen verwehrte. Sich revolutionär zu nennen, sich mit der Transformation der gesamten Gesellschaft zu beschäftigten, erlaubt es, sich die Transformation seiner eigenen Bedingung und seiner persönlichen Illusionen zu ersparen.

In der Arbeiterklasse hat die Gewerkschaft beinahe das Monopol des Aktivismus, sie erlaubt dem Aktivisten unmittelbare Befriedigungen und eine Position, deren Vorteile konkret messbar sind. Der Arbeiter, welcher vom Aktivismus angezogen ist, wird sich sehr wahrscheinlich der Gewerkschaft zuwenden. Sogar die antigewerkschaftlichen Kampfkomitees tendieren dazu, zu einer neuen Art von Gewerkschaftsarbeit zu werden. Die politische Tätigkeit ist für die Arbeiteraktivisten nur die Fortsetzung der gewerkschaftlichen Aktion. Der Aktivismus reizt die Arbeiter kaum, insbesondere die jungen Arbeiter, denn sie sind die hellsichtigsten Proletarier, was das Elend ihrer Arbeit im speziellen und jenes ihres Lebens im allgemeinen betrifft. In ihrer Gesamtheit schon wenig angezogen von den Gewerkschaften sind sie es noch weniger von einem Linksradikalismus mit nebulösen Vorteilen.

Wenn im revolutionären Sturm die Herrschaft der Waren und des Konsums zusammenbricht, werden die Gewerkschaften, deren Ernsthaftigkeit auf der Forderung gründete, bereit sein, zum revolutionären Aktivismus überzugehen, um zu überleben. Sie werden die extremistischsten Losungen übernehmen und viel gefährlicher sein als die linken Gruppen. Sieht man nicht jetzt schon nach Mai 68 wie die CFDT [3] das Wort Selbstverwaltung mit ihrem neo-bürokratischen Kauderwelsch mischt!

DIE POLITISCHE ARBEIT

Die „freie“ Zeit, welche ihm seine beruflichen oder schulischen Verpflichtungen lassen, wird der Aktivist jener Tätigkeit widmen, welche er selbst „politische Arbeit“ nennt. Es müssen Flugblätter gedruckt und verteilt, Plakate erstellt und geklebt, Sitzungen gehalten, Kontakte geknüpft, Treffen vorbereitet werden...Doch es ist nicht diese oder jene Aktion, isoliert betrachtet, welche reicht, um die aktivistische Arbeit zu charakterisieren. Die einfache Tatsache, ein Flugblatt zu schreiben mit dem Ziel, es zu drucken und zu verteilen, kann nicht an sich als aktivistischer Akt betrachtet werden. Er ist ein Aktivist, weil er Teil einer Tätigkeit ist, welche eine besondere Logik hat.

Da die Tätigkeit des Aktivisten nicht die Verlängerung seiner Wünsche ist, da sie einer ihr äusseren Logik gehorcht, ist sie mit der Arbeit vergleichbar. Genau wie der Arbeiter nicht für sich selbst arbeitet, kämpft der Aktivist nicht für sich selbst. Das Resultat seiner Aktion kann also nicht am Vergnügen gemessen werden, welche sie ihm verschafft. Es wird also an der Anzahl aufgewendeten Stunden, der Anzahl verteilter Flugblätter gemessen. Die Wiederholung, die Routine dominieren die Tätigkeit des Aktivisten. Die Trennung zwischen Ausführung und Entscheidung stärkt den Beamtenaspekt des Aktivisten.

Doch obwohl der Aktivismus mit der Arbeit vergleichbar ist, kann er nicht mit ihr gleichgesetzt werden. Die Arbeit ist jene Tätigkeit, auf welcher die herrschende Welt gründet, sie produziert und reproduziert das Kapital und die kapitalistischen Produktionsverhältnisse; der Aktivismus ist nur eine zweitrangige Tätigkeit. Wenn auch das Resultat und die Effizienz der Arbeit definitionsgemäss nicht anhand der Befriedigung des Arbeiters messbar sind, so haben sie doch den Vorteil, wirtschaftlich messbar zu sein. Die Warenproduktion, durch ihre Währung und den Profit, erschafft Standards und Messinstrumente. Sie hat ihre Logik und ihre Vernunft, welche sie dem Produzenten und dem Konsumenten aufzwingt. Im Gegensatz dazu hat die Effizienz des Aktivismus, „das Fortschreiten der Revolution“, ihre Messinstrumente noch nicht gefunden. Ihre Kontrolle entwischt den Aktivisten und ihren Anführern. Natürlich angenommen, dass diese sich immer noch um die Revolution kümmern! Man ist also gezwungen, das produzierte und verteilte Material, die Rekrutierung, die ausgeführten Aktionen zu bilanzieren; was natürlich nie misst, was man behauptet, zu messen. Logischerweise führt das dazu, dass man glaubt, was messbar ist, sei ein Selbstzweck. Stellt euch den Kapitalisten vor, der, da er kein Mittel findet, um den Wert seiner Produktion zu bemessen, sich entscheidet, sich auf die Menge Öl zu stützen, welche seine Maschinen verbrauchen. Sehr schnell, unter dem Druck eifriger Vorarbeiter, würden die Arbeiter Öl in den Abfluss schütten, um die Produktion anzukurbeln. Unfähig, das angestrebte Ziel zu verfolgen, kann der Aktivismus nur die Arbeit nachäffen.

Indem sie sich bewusst auferlegen, die Arbeit zu imitieren, sind die Aktivisten nicht in der besten Position, um die einerseits durch die immer mehr verbreitete Verachtung jeglichen Zwangs und andererseits durch den Fortschritt des Wissens und der Technik eröffneten Perspektiven zu verstehen. Die Intelligentesten von ihnen machen gemeinsame Sache mit den Ideologien der modernistischen Bourgeoisie, um zu fordern, dass die Arbeitszeiten reduziert oder die widerliche Tätigkeit humanisiert wird. Sei es im Namen des Kapitals oder der Revolution, all diese Leute zeigen sich unfähig, eine Perspektive zu haben, die über die Trennung zwischen Arbeits- und Freizeit, zwischen einer der Produktion und einer dem Konsum gewidmeten Tätigkeit hinausgeht.

Wir sind nicht aus natürlichen, sondern aus gesellschaftlichen Gründen zur Arbeit gezwungen. Arbeit und Klassengesellschaft gehen Hand in Hand. Der Meister will, dass der Sklave produziert, weil nur das produzierte aneigenbar ist. Die Freude, das Vergnügen, die einem irgendeine Tätigkeit bereiten kann, kann vom Kapitalisten nicht kapitalisiert, akkumuliert, in Geld gemessen werden, darum macht er sich nichts daraus. Wenn wir arbeiten, sind wir gänzlich einer Autorität, einem äusseren Gesetz unterworfen, unsere einzige Daseinsberechtigung ist das, was wir produzieren. Jede Fabrik ist eine Schutzgelderpressung, wo unser Schweiss und unser Leben aufgesogen werden, um in Waren verwandelt zu werden.

Die Arbeitszeit ist eine Zeit, während welcher wir nicht direkt unsere Wünsche befriedigen können, sondern sie opfern müssen, um auf die nachträgliche Entschädigung des Lohns zu warten. Es ist das genaue Gegenteil des Spiels, in welchem der Ablauf und der Rhythmus unserer Tätigkeit einzig und allein durch unser Vergnügen daran bestimmt werden. Wenn sich das Proletariat emanzipiert, wird es die Arbeit aufheben. Die Produktion der zu unserem biologischen Überleben notwendigen Lebensmittel wird nur noch ein Vorwand sein, um unsere Leidenschaften zu befreien.

DER SITZUNGSWAHN

Eine bedeutende Charakteristik des Aktivismus ist die an Sitzungen verbrachte Zeit. Lassen wir die den grossen Strategien gewidmeten Debatten beiseite: Wie sieht es aus mit unseren Genossen in Bolivien, wann kommt die nächste weltweite Wirtschaftskrise, gibt es Fortschritte im Aufbau der revolutionären Partei...Beschränken wir uns darauf, uns mit den die „alltägliche Arbeit“ betreffenden Sitzungen auseinanderzusetzen. Dort zeigt sich das Elend des Aktivismus vielleicht am besten. Einige hoffnungslose Fälle ausgenommen, beschweren sich die Aktivisten selbst, über die etlichen „Sitzungen, während welchen man nicht vorankommt“. Obwohl sich die Aktivisten gerne gegenseitig aufheizen, schaffen sie es nicht, nicht unter dem offensichtlichen Widerspruch zwischen einerseits ihrem Willen, zu handeln, andererseits der durch nutzlose Diskussionen, ausgangslose Debatten verlorenen Zeit zu leiden. Sie sind dazu verdammt, in einer Sachgasse festzustecken, denn sie hinterfragen den „Sitzungswahn“, ohne einzusehen, dass der ganze Aktivismus zur Debatte steht. Die einzige Möglichkeit, dem Sitzungswahn zu entfliehen, ist die Flucht in einen Aktivismus, der immer weniger mit der Wirklichkeit zu tun hat.

WAS TUN? WIE SICH ORGANISIEREN? Das sind die Fragen, welche den Sitzungen zu Grunde liegen und sie verursachen. Diese Fragen können allerdings nie geregelt werden, man kommt ihrer Lösung nie näher, denn wenn die Aktivisten sie sich stellen, stellen sie sie als von ihrem Leben getrennt. Die Antwort lässt auf sich warten, weil die Frage nicht von jenem gestellt wird, welcher die konkrete Lösung besitzt. Man kann sich während Stunden versammeln, sich das Hirn zermartern, der praktische Träger, welcher den Ideen fehlt, wird nicht plötzlich auftauchen. Während diese Fragen für das revolutionäre Proletariat Lappalien sind, weil sich ihm die Fragen der Aktion und der Organisation konkret stellen, werden sie zum PROBLEM für die Aktivisten. Der Sitzungswahn ist die notwendige Ergänzung zum Aktivismus. Eigentlich ist die gestellte Frage immer folgende: Wie kann man mit der Massenbewegung verschmelzen, obwohl man von ihr getrennt bleibt? Die Lösung dieses Dilemmas ist, entweder wirklich mit den Massen zu verschmelzen, indem man die Wirklichkeit seiner Wünsche und die Möglichkeiten ihrer Verwirklichung wiederfindet, oder ihre Macht als Aktivisten zu stärken, indem man sich auf der Seite der alten Welt gegen das Proletariat einreiht. Die wilden Streiks zeigen, dass das Risiko existiert!

In seinem Verhältnis zu den Massen reproduziert der Aktivismus seine inneren Makel, insbesondere seine Tendenzen zum Sitzungswahn. Man versammelt Leute und man zählt sie. Für einige wie z.B. die AJS [4] wird die Tatsache, sich zu zeigen und zu zählen, sogar zum Gipfel der Aktion!

Diese Fragen der Aktion und der Organisation, die bereits von der wirklichen Bewegung getrennt sind, sind auch mechanisch untereinander getrennt. Die diversen Ausrichtungen des Linksradikalismus konkretisieren diese Trennung. Man findet auf der einen Seite mit den Maoisten der ehemaligen GP [Gauche prolétarienne – Proletarische Linke] [5] den Pol der Aktion, auf der anderen mit den Trotzkisten der Ligue Communiste [Kommunistische Liga – Vorläufer der Ligue communiste révolutionnaire] [6] den Pol der Organisation. Man fetischisiert entweder die Aktion oder die Organisation, um aus der Sackgasse herauszukommen, in welche der Aktivismus geraten ist, indem er von den Massen getrennt ist. Alle beschützen ihre bevorzugte Dummheit, indem sie sich über die Ausrichtung der konkurrierenden Gruppen lustig machen.

DIE BÜROKRATIE

Die Aktivistenorganisationen sind alle hierarchisiert. Einige Organisationen kaschieren das nicht, ja sie tendieren gar eher dazu, damit zu prahlen. Andere beschränken sich darauf, so wenig wie möglich davon zu sprechen. Einige kleine Gruppen schliesslich versuchen, es abzustreiten.

Genau wie sie die Arbeit reproduzieren oder eher nachäffen, brauchen die Aktivistenorganisationen „Chefs“. Da sie ihre Einigung nicht auf konkreten Problemen aufbauen können, sind die Aktivisten natürlicherweise dazu verleitet, zu glauben, dass die Vereinheitlichung der Entscheidungen nur von der Existenz einer Führungsspitze kommen kann. Sie können sich nicht vorstellen, dass die gemeinsame Wahrheit vom spezifischen Willen, aus der Scheisse auszusteigen, hervorquellen kann, sie muss aufgeworfen und von oben auferlegt werden. Sie stellen sich darum notwendigerweise die Revolution als Zusammenstoss zweier hierarchisierter Staatsapparate vor, einer davon bürgerlich, der andere proletarisch.

Sie wissen nichts von der Bürokratie, ihrer Autonomie und der Art und Weise, wie sie innere Widersprüche auflöst. Der durchschnittliche Aktivist glaubt naiverweise, dass die Konflikte zwischen Anführern auf Ideenkonflikte reduziert werden können und dass, wenn man ihm sagt, dass eine Einheit existiert, sie tatsächlich existiert. Sein grosser Stolz ist es, die Organisation oder Tendenz erkannt zu haben mit DER guten Führungsspitze. Indem er sich dieser oder jener Clique anschliesst, übernimmt er ein System von Ideen wie man ein Kostüm anzieht. Da er davon nicht die geringste Grundlage überprüft hat, wird er bereit sein, alle Konsequenzen davon zu verteidigen und alle Einwände mit einem unglaublichen Dogmatismus zu beantworten. In einer Zeit, wo die Priester wegen der spirituellen Krise ein zerrissenes Herz haben, behält der Aktivist seinen Glauben.

Da der Aktivismus gezwungen war, der immer mehr verbreiteten Verachtung jeglicher Form von Autorität Rechnung zu tragen, hat er Sprösslinge einer neuen Art produziert. Einige Organisationen behaupten, sie seien keine, und, vor allem, verbergen ihre Führungsspitze. Die Bürokraten verstecken sich, um besser die Fäden ziehen zu können.

Einige traditionelle Organisationen versuchen, parallele Organisationsformen zu gründen, manchmal permanent, manchmal nicht. Sie hoffen, im Namen der „proletarischen Autonomie“ Leute, welche ihnen sonst entgangen wären, abzuholen oder zumindest zu beeinflussen.

Man kann die Rote Hilfe, die OJTR und die Arbeiter- und Bauernversammlungen des PSU [7] nennen...Einige unabhängige oder Satellitenzeitungen behaupten auch, sie drücken nur den Standpunkt der revolutionären Massen oder autonomer Basisgruppen aus. Nennen wir die Cahiers de Mai [8], La technique en Lutte, L’outil des travailleurs...Dort, wo man sich weigert, klar die Organisations- und theoretische Fragen zu stellen unter dem Vorwand, die Stunde des Aufbaus der revolutionären Partei sei noch nicht gekommen oder im Namen einer Pseudo-Spontaneität („Wir sind keine Organisation, nur ein Zusammenschluss ehrlicher Typen, eine Gemeinschaft“, usw.), kann man sicher sein, dass man Bürokratie und sogar oft Maoismus antrifft. Der Trotzkismus hat den Vorteil, dass sein Organisationsfetischismus ihn dazu zwingt, Farbe zu bekennen; er vereinnahmt und sagt es auch. Der Vorteil des Maoismus (wir sprechen nicht vom reinen und prähistorisch stalinistischen Maoismus à la Humanité Rouge [9]) ist es, die Bedingungen zu seiner eigenen Überschwemmung zu erzeugen; indem er den Balancierkünstler der Vereinnahmung spielt, wird er zwangsläufig auf die Schnauze fallen.

OBJEKTIVITÄT UND SUBJEKTIVITÄT

Die Systeme von Ideen, welche die Aktivisten übernehmen, variieren je nach Organisation, doch sie sind alle aufgerieben von der Notwendigkeit, die Natur der Tätigkeit, die sie verstecken, und die Trennung von den Massen zu verbergen. Man findet im Zentrum von Aktivistenideologien ebenfalls die auf mechanische und ahistorische Art und Weise konzipierte Trennung zwischen Objektivität und Subjektivität.

Der Aktivist, der sich dem Dienste am Volk verschreibt, obwohl er nicht bestreitet, dass seine Tätigkeit subjektiv motiviert ist, weigert sich, dieser Tatsache eine Bedeutung zuzugestehen. Was subjektiv ist, muss sowieso für alles, was objektiv ist, eliminiert werden. Da der Aktivist sich weigert, von seinen Wünschen angetrieben zu werden, muss er sich darauf beschränken, sich auf historische Notwendigkeiten zu berufen, von denen er glaubt, sie seien ausserhalb der Welt der Wünsche. Dank dem „wissenschaftlichen Sozialismus“, eine erstarrte Form eines degenerierten Marxismus, glaubt er, den Sinn der Geschichte entdecken und sich ihm anpassen zu können. Er benebelt seine Sinne mit Konzepten, deren Bedeutung ihm entgeht: Produktionskräfte, Produktionsverhältnisse, Wertgesetz, Diktatur des Proletariats usw. All das erlaubt ihm, sich über die Ernsthaftigkeit seiner Agitation sicher zu sein. Indem er sich ausserhalb „seiner Kritik“ der Welt platziert, ist er dazu verurteilt, nichts von deren Fortgang zu verstehen.

Die Leidenschaft, welche er in seinem alltäglichen Leben nicht finden kann, sucht er in seiner imaginären Teilnahme am „weltweiten revolutionären Spektakel“. Die Welt wird auf ein Marionettentheater reduziert, wo sich die Guten und die Bösen, die Imperialisten und die Anti-Imperialisten gegenüber stehen. Er kompensiert die Armseligkeit seiner Existenz, indem er sich mit den Stars dieses weltweiten Zirkus identifiziert. Der Gipfel der Lächerlichkeit wurde gewiss mit dem Kult des „CHE“ erreicht. Als wahnsinniger Ökonom, jämmerlicher Stratege, doch heisser Typ wird Guevara zumindest den Trost haben, für seine Talente als Hollywoodstar belohnt geworden zu sein. Ein Rekord im Posterverkauf!

Was ist die Subjektivität, wenn nicht das Überbleibsel der Objektivität, das, was eine auf der Reproduktion gegründete Gesellschaft nicht integrieren kann? Die Subjektivität des Künstlers vergegenständlicht sich im Kunstwerk. Für den von den Produktionsmitteln und der Organisation seiner eigenen Produktion getrennten Arbeiter bleibt die Subjektivität im Zustand von Manien, Wahnvorstellungen...Was sich vergegenständlicht, tut dies durch die Gnade des Kapitals und wird selbst zu Kapital. Die revolutionäre Tätigkeit, genau wie die Welt, die sie andeutet, überwindet die Trennung zwischen Objektivität und Subjektivität. Sie macht die Subjektivität objektiv und nimmt subjektiv die objektive Welt in Beschlag. Die proletarische Revolution ist der Einbruch der Subjektivität!

Es geht nicht darum, in den Mythos der von der Gesellschaft unterdrückten und ihre Rückkehr anstrebende „wahren Menschennatur“, des „ewigen Wesens“ des Menschen zurückzufallen. Aber wenn auch die Form und der Zweck unserer Wünsche unterschiedlich ist, so können sie sicher nicht auf das Bedürfnis reduziert werden, dieses oder jenes Produkt zu konsumieren. Die durch die Entwicklung und die Notwendigkeiten der Warenproduktion historisch bestimmte Subjektivität beugt sich nicht dem Drang nach Konsum und Produktion. Um die Wünsche des Konsumenten zu vereinnahmen, muss sich die Ware ununterbrochen anpassen. Doch sie ist unfähig, den Willen zu leben durch die totale und direkte Verwirklichung unserer Wünsche zu befriedigen. Als Avantgarde der Warenproduktion müssen die Schaufenster immer öfter die Kritik des Pflastersteins erdulden!

Jene, welche sich weigern, der Wirklichkeit IHRER Wünsche im Namen des „materialistischen Denkens“ Rechnung zu tragen, gehen das Risiko ein, vom Gewicht UNSERER Wünsche eingeholt zu werden.

Die Aktivisten und ihre Ideologen, sogar jene mit Universitätsdiplom, sind immer weniger fähig, ihre Epoche zu verstehen und die Geschichte treffend darzustellen. Unfähig, ein auch nur annähernd modernes Denken zu verbreiten, sind sie gezwungen, im Müllhaufen der Geschichte zu wühlen, um sich Ideologien wiederzuholen, die schon seit einer gewissen Zeit ihr Scheitern bewiesen haben: Anarchismus, Leninismus, Trotzkismus...Um das ganze etwas leichter bekömmlich zu machen, würzen sie es mit etwas missverstandenem Maoismus oder Castrismus. Sie berufen sich auf die Arbeiterbewegung, doch verwechseln ihre Geschichte mit dem Aufbau eines Staatskapitalismus in Russland oder dem bürokratisch-bäuerlichen Epos des „langen Marschs“ in China. Sie behaupten, sie seien Marxisten, doch verstehen nicht, dass das marxistische Projekt der Aufhebung der Lohnarbeit, der Warenproduktion und des Staates untrennbar von der Machtergreifung des Proletariats ist.

Die „marxistischen“ Denker sind zunehmend unfähig, die Analyse der grundsätzlichen Widersprüche des Kapitalismus zu übernehmen, welche Marx eingeführt hat. Sie verlieren sich auf dem Terrain der bürgerlichen politischen Ökonomie, während sie Dummheiten zum Wertgesetz, dem tendenziellen Fall der Profitrate, der Realisierung von Mehrwert endlos wiederholen. Trotz ihrer Vermessenheit verstehen sie nichts vom Gang des modernen Kapitalismus. Indem sie sich verpflichtet glauben, ein marxistisches Vokabular zu benutzen, deren Gebrauchsanweisung sie nicht kennen, verpassen sie die wenigen Möglichkeiten der Analyse, die der politischen Ökonomie verbleiben. Ihre „Forschungen“ sind weniger Wert als jene des erstbesten Schülers von Keynes.

AKTIVISTEN UND ARBEITERRÄTE

Die Aktivistenorganisationen autonomisieren sich oberhalb der Massen, die sie zu repräsentieren glauben. Das führt natürlicherweise dazu, dass sie glauben, es sei nicht die Arbeiterklasse, die die Revolution macht, sondern „die Organisationen der Arbeiterklasse“. Es ist also angebracht, diese zu stärken. Das Proletariat wird zu einem Rohstoff, einem Misthaufen, auf welchem die Revolutionäre Partei als rote Rose wird aufblühen können. Die Notwendigkeiten der Vereinnahmung verlangen, dass man davon extern nicht allzu häufig spricht; dort fängt die Demagogie an.

Die Autonomie der Ziele der Aktivistenorganisationen muss kaschiert werden. Diesen Zweck erfüllt die Ideologie. Man proklamiert lautstark, dass man im Dienste des Volkes stehe, dass man nicht für sein eigenes Wohl handle und dass, falls man für eine kurze Zeit gezwungen sein wird, die Macht zu ergreifen, man sie nicht missbrauche. Sobald die Arbeiterklasse genug gebildet sein werde, werde man sich beeilen, sie ihr zurückzugeben.

Die Geschichte der Arbeiterräte zeigt, dass die sogenannten Arbeiterorganisationen systematisch ihr eigenes Spiel spielten und ihre eigenen Kastanien aus dem Feuer holten; natürlich nur aus den besten Beweggründen. Um sich die Macht zu sichern, versuchten sie, die Organisationsformen, die sich das Proletariat gab, zu beschränken, zu vereinnahmen und zu zerstören: territoriale Sowjets, Fabrikkomitees.

Die russischen Sowjets wurden zuerst von der bolschewistischen Partei und dem bolschewistischen Staat vertuscht, dann liquidiert. Lenin misst ihnen 1905 keine Bedeutung zu. Im Gegensatz dazu proklamiert man 1917: „Alle Macht den Sowjets“. Ab 1921 werden die Sowjets, welche als Trittbrett zur Machtergreifung dienten, zu einem Störfaktor; die Arbeiter und die Matrosen von Kronstadt, die freie Sowjets fordern, werden von der Roten Armee niedergeschlagen.

In Deutschland nimmt die sozialdemokratische Regierung der „Volkskommissare“ die Liquidation der Arbeiterräte im Namen der Revolution in die Hand.

In Spanien kümmern sich einmal mehr die Kommunisten darum, die Formen der Volksmacht zum Verschwinden zu bringen. Das sollte dazu dienen, den Kampf gegen den Faschismus zu fördern!

Es lohnt sich nicht, Beispiele anzuhäufen. Alle historischen Erfahrungen haben den Antagonismus zwischen dem revolutionären Proletariat und der Aktivistenorganisation bestätigt. Die extremistischste Ideologie kann eine konterrevolutionäre Position verstecken. Wenn auch einige Organisationen wie der Spartakusbund und die anarchosyndikalistische CNT-FAI Seite an Seite mit dem Proletariat bis zur gemeinsamen Niederlage kämpften, so beweist das doch nicht, dass diese Organisationen nicht für ihre eigene Macht gekämpft hätten, wenn der Gegner besiegt worden wäre.

China ist nichts weiter als ein vulgärer Staatskapitalismus. Die Warenproduktion und die Lohnsklaverei wurden durch die „kommunistische“ Machtergreifung nicht aufgehoben. Im Gegenteil, indem sie zu einem Bruch mit der Plünderung von China durch die Imperialisten führte, konnte nur diese Machtergreifung es ermöglichen, Kapital vor Ort zu akkumulieren und die Industrialisierung zu lancieren. Der Personenkult und der ideologische Druck, um das Volk zur Teilnahme am „Kampf an der Produktionsfront“ zu drängen, führten nicht zur Eliminierung der klassischen Methoden. Diese Werbung für Seife [Bild in der Originalbroschüre] bezeugt es.

Unsere lokalen Bürokraten, die von Maos „Dialektik“ und der Erneuerung der Theorie durch die sogenannte Bürokratiefeindlichkeit der Kulturrevolution schwärmen, werden vom roten China genauso enttäuscht sein wie sie vom stalinistischen Russland enttäuscht wurden.

Obwohl sie in der Politik eingesperrt sind, bleiben die Aktivisten doch soziale Individuen, welche dem Einfluss ihres Milieus ausgesetzt sind. Wenn es heiss zu- und hergeht, werden potenziell viele ins Lager der Revolution wechseln. Man sah auch schon Gewerkschaftsdelegierte bei Entführungen eine Hauptrolle spielen! Doch die massive Fahnenflucht der Aktivisten wird aufgrund der Tatsache, dass die Räte und die rätekommunistischen Revolutionäre stärker sein werden, umso wahrscheinlicher sein. Die Bewegung kann in ihren Erfolgen durch den Nachschub an etlichen Aktivisten unterstützt werden, doch im Falle von Fehlern oder Unschlüssigkeit wird das Pendel in die andere Richtung ausschlagen. Die Aktivistenorganisationen werden gestärkt werden, durch die Zufuhr von Proletariern, die sich beruhigen wollen.

Die Liquidation der Arbeiterräte wurde möglich wegen ihrer Schwäche, ihrer Unfähigkeit, die Regeln der direkten Demokratie anzuwenden und effektiv alle Macht durch die Zerstörung aller äusseren Macht an sich zu reissen. Die Aktivistenorganisationen sind eigentlich nur die eigene veräusserlichte Schwäche des Proletariats, die sich gegen es wendet.

Die Arbeiter werden wieder Fehler machen. Sie werden nicht sofort die adäquate Form ihrer Macht finden. Je weniger die Massen Illusionen bezüglich des Aktivismus haben, desto eher wird die Macht der Räte Chancen haben, sich zu entwickeln. Die Aktivisten diskreditieren und lächerlich machen, das ist die gegenwärtige Aufgabe der Revolutionäre. Diese Aufgabe wird vollendet werden, durch die Kritik in Form von Taten, durch die Entstehung rätekommunistischer Organisationen. Diese Organisationen werden ohne Führungsspitze und bürokratischen Apparat auskommen. Als Produkt der Solidarität der kämpferischen Arbeiter werden sie die freie Gemeinschaft autonomer Individuen sein. Nichts wird ihnen fremder sein als die ideologische Indoktrinierung und die organisationelle Einreihung. Sie werden nicht durch ihre Ideen, sondern vor allem durch ihr Verhalten in den Kämpfen zeigen, dass sie nie andere Interessen als jene der Gesamtheit des Proletariats zu verfolgen drohen.

Die Entwicklung des modernen Kapitalismus, die sich in der Besetzung allen gesellschaftlichen Raums durch die Waren, die Verallgemeinerung der Lohnarbeit, aber auch durch den Verfall der moralischen Werte, die Verachtung der Arbeit und der Ideologien äussert, wird die Gewalt des Zusammenstosses verstärken. Die Proletarier werden sehr viel schneller sehr viel weiter gehen als in der Vergangenheit. Die Aktivistenorganisationen konnten zwar früher während einer gewissen Zeit eine revolutionäre Rolle spielen, doch das wird nicht mehr möglich sein. Diese Organisationen werden schnell nur doch die Möglichkeit haben, immer mehr auf der Seite der Konterrevolution zu stehen während den nächsten grossen Schlachten des Klassenkampfes. Eingeklemmt zwischen dem Proletariat und der alten Welt werden sie nur überleben können, indem sie letzterer als Festung dienen.

Wenn die Gewerkschafter und andere Aktivisten versuchen, die Versorgung, danach die Organisation der Produktion und die Aufrechterhaltung der Ordnung in die Hand zu nehmen, um auf die „Schwäche“ des Kapitals und des Staates zu reagieren und sich in den „Dienst der Hausfrauen“ stellen, müssen sie als das, was sie sind, behandelt werden: eine sich bildende neue Führungsschicht. Die Rätekommunisten werden dafür kämpfen müssen, dass die für besondere Aufgaben verantwortlichen Kommissionen und Delegierten EINZIG UND ALLEIN der Generalversammlung Rechtfertigung schulden und jeder Zeit widerrufbar sind. Die Mitglieder irgendeiner Organisation, welche in die Räte gewählt werden, dürfen nicht die Repräsentanten ihrer Organisation sein, sie sind die Delegierten der Arbeiter. Die Räte müssen ALLE MACHT UND KEINE SCHEINMACHT sein, die innerlich durch die Spaltung und die Versuche der Vereinnahmung der Organisationen geschwächt sind. Wir werden das Spiel der durch die Parteien in Politikerjahrmärkte transformierten russischen Sowjets oder der kommunistischen, sozialistischen, anarchistischen, trotzkistischen bewaffneten Kolonnen, welche sich während des Spanienkrieges gegenüberstanden und um Waffen und Einfluss bekämpften, nicht mehr spielen. Die Räte werden alle Aufgaben, die zur Zerstörung der bürgerlichen Ordnung nötig sein werden, in die Hand nehmen und verbinden müssen und all jene als Feinde behandeln, die ihnen dieses Recht absprechen!

Organisation des Jeunes Travailleurs Révolutionnaires [Organisation der jungen revolutionären Arbeiter]

Quelle

Englische Version

Übersetzt aus dem Französischen und dem Englischen von Kommunisierung.net


[1CGT – Confédération générale du travail, eine Gewerkschaft, die traditionell eng mit der französischen kommunistischen Partei verbunden ist.

[2Alain Geismar – ein Mitglied der Parti socialiste unifié und Präsident der Professorengewerkschaft der Universität zu Beginn von Mai 1968. Er wurde zu einer der prominentesten Persönlichkeiten der Maibewegung. Nach deren Ende stand er der Bewegung des 22. März nahe und schloss sich Anfang 1969, zusammen mit anderen Mitgliedern, der Gauche prolétarienne (GP) an, die führende Gruppe des aktivistischen Flügels des französischen Maoismus (siehe Fussnote 5). Er wurde zu einem öffentlichen Sprachrohr der GP und zu einer Berühmtheit als er 1970 wegen Anstiftung zum Landfriedensbruch ins Gefängnis musste. Später machte er als Akademiker Karriere und wurde Berater der sozialistischen Regierung.

[3CFDT – Confédération française démocratique du travail – französische Gewerkschaftsföderation. Nach dem Mai 68 (für welchen sie mehr Sympathie hatte als die mit der kommunistischen Partei verbundene CGT) entwickelte sie starke Beziehungen zur Parti socialiste unifié und wurde stark mit der Sache der Selbstverwaltung identifiziert. Später näherte sie sich der sozialistischen Partei an.

[4AJS – Alliance des jeunes pour le socialisme. Gegründet 1969 als Jugendorganisation der (lambertistischen) Organisation communiste internationaliste. Die OCI war 1968 die am meisten „altlinke“ der französischen trotzkistischen Gruppen (sie war Mitglied des Internationalen Komitees der Vierten Internationalen mit der Socialist Labour League von Healy, bis sie mit diesem 1971 brach). Sie schaffte das bemerkenswerte Kunststück, junge Leute aufzurufen, 1968 Barrikaden niederzureissen und trotzdem danach kurz von der Regierung verboten zu werden. Ihr junger Flügel, die AJS, erlangte einen wenig beneidenswerten Ruf für ihren manipulativen Frontismus. Siehe Roland Biard, Dictionnaire de l’extrême-gauche de 1945 à nos jours, Belfond, Paris, 1978, S. 23-26. und zur OCI, A. Belden Fields, Trotskyism and Maoism - Theory and Practise in France and the United States, Autonomedia, New York, 1988, S. 64-73 und Kap. 7.

[5Gauche prolétarienne (GP). Gegründet im September 1968 von ehemaligen Mitgliedern der (marxistisch-leninistischen) Union des jeunesses communistes, eine von Althusser inspirierte maoistische Gruppe, die sich 1966 von der UEC, der offiziellen Studentengruppe der kommunistischen Partei, abgespalten hatte. Anfang 1969 schlossen sich ihr einige Mitglieder der „spontaneistischen“ Bewegung des 22. März an und in den nächsten drei, vier Jahren war die GP jene Gruppe, welche von den „nichtparteilichen“, aktivistischen maoistischen Gruppen am ehesten repräsentativ war. Diese Strömung, welche ausserhalb Frankreichs kaum Pendants hatte, ist im Buch von A. Belden detailliert beschrieben (das betreffende Kapitel kann online gelesen werden). Ein Merkmal der GP war die Anzahl „Persönlichkeiten“, welche sie sowohl als Sympathisanten anzog (u.a. Sartre und der Verleger Maspero) als auch kreierte – in Frankreich war sie exemplarisch für die Praxis des „radical chic“. Ihre organisationelle Praxis war exemplarisch für das, was später in den USA und im Vereinigten Königreich als die Tyrannei der Strukturlosigkeit beschrieben wurde. Von der Regierung 1970 verboten, existierte die GP weiterhin durch etliche Fronten und einem Netzwerk von Gruppen und durch die Versuche, andere Projekte zu kontrollieren. Siehe Roland Biard, Dictionnaire de l’extrême-gauche de 1945 à nos jours, Belfond, Paris, 1978, S. 23-26, 253-7 und A. Belden Fields, Trotskyism and Maoism - Theory and Practise in France and the United States, Autonomedia, New York, 1988, Kap. 3.

[6Ligue communiste. Die OCI (siehe Fussnote 4) repräsentierte die „alte Linke“ innerhalb des Trotzkismus und die Ligue communiste die „neue Linke“, basierend auf den „neuen Avantgarden“ der Jugend, der Studenten, des schwarzen Nationalismus und der nationalen Befreiungsbewegungen. Der Name Ligue communiste wurde 1968 gewählt, als der (frankistische) Parti communiste internationaliste (PCI) und die Jeunesse communiste révolutionnaire (JCR), die von ihr kontrollierte Studentengruppe, von der Regierung verboten wurden. Als französische Sektion des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationalen hatte der PCI bis 1968 Entrismus innerhalb der französischen Kommunistischen Partei praktiziert. Sein Einfluss auf die offizielle Studentengruppe der Partei führte 1967 zur Gründung der JCR. Die JCR war eine der aktivsten politischen Studentengruppen während dem Mai 68 und ihr erfolgreicher Aufstieg war das Sprungbrett für die Gründung der Liga. Siehe Roland Biard, Dictionnaire de l’extrême-gauche de 1945 à nos jours, Belfond, Paris, 1978, S. 206-9, 199-200, 266-70 und A. Belden Fields, Trotskyism and Maoism - Theory and Practise in France and the United States, Autonomedia, New York, 1988, S 49-64 und Kap. 7.

[7Der Secours rouge (Rote Hilfe) wurde 1970 von einem Komitee von „Aktivisten und Persönlichkeiten“ (Biard), darunter auch der allgegenwärtige Sartre, gegründet. Sein Zweck war es, ein einheitliches Gremium zur Organisation der praktischen Verteidigung und des praktischen Kampfes zu sein, theoretisch kontrolliert von lokalen Volksversammlungen. Er wurde von mehreren trotzkistischen, maoistischen und anarchistischen Gruppen unterstützt und organisierte Aktivitäten, die von Demonstrationen bis zu Versuchen praktischer Solidarität verschiedener Art reichten. In Wirklichkeit war der Secours rouge allen voran eine Initiative der maoistischen Gauche prolétarienne, die in der Zwischenzeit von der Regierung verboten worden war und in Form von Netzwerken von Gruppen und Organisationen existierte, die sie entweder selber aufgleiste oder einfach daran beteiligt war (siehe Fussnote 5). Von Anfang an bekämpften sich die verschiedenen Gruppierungen und nach und nach spalteten sich die trotzkistischen Gruppen und der linkssozialistische PSU ab und überliessen den Aktivisten der ehemaligen GP die Kontrolle bis sich der Secours rouge komplett auflöste. Siehe Roland Biard, Dictionnaire de l’extrême-gauche de 1945 à nos jours, Belfond, Paris, 1978, S. 345-346 und A. Belden Fields, Trotskyism and Maoism - Theory and Practise in France and the United States, Autonomedia, New York, 1988, Kap. 3, S. 108-109.

Arbeiter- und Bauernversammlungen der PSU. Der Parti socialiste unifié (PSU) war eine kleine, 1960 gegründete linkssozialistische Partei. Sehr gespalten über ihre politische Linie während den Wahlen 1969 und mit starkem Druck von Sektionen ihrer Mitgliedschaft (sie integrierte viele jüngere und militantere Neumitglieder nach dem Mai 68), entschied die nationale Koordination der Partei, im ganzen Land Arbeiter- und Bauernversammlungen einzuberufen. Das neue Element war, dass sie offen für Nichtmitglieder der Partei waren und beauftragt, Strategiedokumente für den Parteikongress in Lille 1971 zu formulieren. Nicht überraschend wurden die Versammlungen sofort zur Bühne für Kämpfe um Einfluss zwischen den diversen Fraktionen der Partei und die Texte, welche schliesslich am Kongress präsentiert wurden, repräsentierten eher die Fraktionen als die „Stimme der kämpfenden Massen“. Siehe Roland Biard, Dictionnaire de l’extrême-gauche de 1945 à nos jours, Belfond, Paris, 1978, S. 280-309, v.a. 295-300.

Die OJTR (Organisation des jeunes travailleurs révolutionnaires) war die Gruppe, welche diesen Text verfasste.

[8Cahiers de Mai – 1968 von einigen Aktivisten aus Nantes und Umgebung gegründete Zeitschrift, die ursprünglich zum Ziel hatte, den Standpunkt der im Mai geformten Aktionskomitees ausdrücken. Als die während dem Mai 68 entstandene Bewegung verschwand, bekam die Zeitschrift ein Forum zur Diskussion und Bekanntmachung von Arbeiterkämpfen. Im Januar 1969 initiierte sie eine Debatte zum Thema „Wie können wir den Arbeitern helfen, zur revolutionären Aktion überzugehen?“. In dieser Debatte waren Arbeiter sowohl als Aktivisten involviert und etliche Studiengruppen wurden aufgegleist. Es folgte 1972 ein Versuch, das ganze zu formalisieren durch einen Verein der Freunde der Cahiers de Mai, dem Einsatz für neue Organisations- und Aktionsformen und für autonomen Kampf ergeben. Dennoch, wie Biard es formuliert, „...ist die Idee der Autonomie der Arbeiterklasse eng mit der Idee der Organisation der Revolutionäre verbunden. Wie sind die Verhältnisse zwischen den autonomen Bewegungen und den revolutionären Gruppen? Je nach Antwort zu dieser Frage – von der Ablehnung revolutionärer Gruppen bis zur Anerkennung ihrer Rolle als Avantgarde – gibt es unendlich viele mögliche Positionen“. Die Publikation der Zeitschrift wurde 1975 eingestellt. Siehe Roland Biard, Dictionnaire de l’extrême-gauche de 1945 à nos jours, Belfond, Paris, 1978, S. 57-58.

[9Humanité rouge – Zeitschrift der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei Frankreichs (PCMLF), eine im Dezember 1967 von einigen ehemaligen Mitgliedern der Kommunistischen Partei gegründete zentralistische maoistische Partei. Im Gegensatz zur Althusser anhängenden UJCML, welche sich von der Studentengruppe der KP abspaltete und das Sammelbecken für die „parteilose“ maoistische Strömung wie die Gauche prolétarienne (siehe Fussnote 5) war, bestand die PCMLF v.a. aus Ultra-Stalinisten, die ablehnten, was sie den „Revisionismus“ der KP nannten. Aktiv im Mai 68 wurde sie wie viele andere Organisationen verboten und arbeitete danach klandestin, die Zeitschrift Humanité rouge wurde zu ihrem öffentlichen Gesicht und Namen. Siehe Roland Biard, Dictionnaire de l’extrême-gauche de 1945 à nos jours, Belfond, Paris, 1978, S. 270-273 und A. Belden Fields, Trotskyism and Maoism - Theory and Practise in France and the United States, Autonomedia, New York, 1988, Kap. 3.