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Maria Desmers - Befreit die Feminisierung die Frauen?

Dienstag 1. Oktober 2019

„Das Maskulinum siegt über das Femininum“, zumindest in der Grammatik, wenn es darum geht, die Wörter im Plural zu deklinieren, wie wir das alle in der Schule gelernt haben. Ist diese Herrschaft des Maskulinums in der Sprache in einem derart direkten Verhältnis mit der Männerherrschaft im Leben, dass ein Kräfteausgleich des Geschlechterverhältnisses in der Sprache zu einem Kräfteausgleich in den realen Geschlechterverhältnissen führen würde? Bedeutet das, dass der Mond die Sonne, der Gefangene die Wärterin unterdrückt? Die Feminisierung der Sprache weist das Maskulinum zurecht. Freilich, doch was bringt dieser den Endungen der Adjektive und definierten und undefinierten Artikel verpasste Denkzettel der Emanzipation der Frauen?

Das Ziel dieses Textes ist die Infragestellung einer der Schlachten des Krieges der Geschlechter wie er heute geführt wird, sowohl innerhalb der staatlichen Verwaltung wie auch der Milieus mit subversivem Anspruch: Der Kampf für die Feminisierung der Sprache, oder, wie es die linguistischen Behörden des Staates heute nennen, der Kampf für die Durchsetzung der sogenannt „einschliessenden“ Schreibweise, die sich als praktische Lösung (in den beiden Bedeutungen des Begriffes, sowohl konkret, als auch einfach zu verwirklichen, schliesslich würde eine kleine Anstrengung genügen, um unsere Art und Weise zu sprechen und die damit einhergehenden Repräsentationen zu verändern) zum Beitrag der Befreiung der Frauen präsentiert. In Anbetracht des zwingenden Charakters dieser Sprachreform, die sich viele auferlegen und anderen auferlegen und der strukturellen und strukturierenden Bedeutung der Sprache für uns Menschen, kann man sich ehrlich die Frage stellen, was die Feminisierung der Sprache zur Emanzipation der Frauen beiträgt, und sich wundern, dass diese Frage so selten gestellt und fast nie debattiert wird.

Auf der symbolischen Ebene ist es ziemlich offensichtlich, dass die Herrschaft in dieser Welt auf der Seite der Männlichkeit ist. Es sei erlaubt, aus Schalkhaftigkeit hinzuzufügen, dass es die Macht und die Gewalt ebenfalls sind. Die Zweiteilung der menschlichen Wesen in Geschlechter trägt selbstverständlich dazu bei, diese symbolische Herrschaft effektiv zu machen, und es ist also ganz konkret schwieriger, in dieser Welt Erfolg zu haben, wenn man eine Frau ist (oder dieser Rolle zugewiesen ist). Diese Diskriminierung als solche betrifft uns nicht mehr oder weniger als andere symbolische, von dieser Welt hervorgebrachte Formen der Diskriminierung und der Niederschlagung: Die Forderung nach, und die Erlangung durch diverse Formen der Lobbyarbeit, einer Chancengleichheit zwischen den Männern und den Frauen ist ein Traum radikaler Demokraten und stellt die Bedeutung des Erfolgs in dieser Welt nicht radikal in Frage, nicht einmal die damit verbundenen Geschlechtermerkmale. Was uns hingegen stärker beschäftigt, sind die Formen der Herrschaft und der Entfremdung, welchen wir alle durch diese Welt unterworfen werden, indem sie uns zu ihren Bedingungen zu Männern und Frauen macht. Und diesbezüglich scheint es sehr wohl, dass jene Lesart, welche darin besteht, sich mit der Feststellung zu begnügen, dass, weil das Maskulinum auf symbolischer Ebene siegt, die Männer herrschen und uns entfremden, oder gar die Frauen ausbeuten, gefährlich vereinfachend ist und durch dem diesem „Sieg“ beigemessenen Wert, das, was die Welt Erfolg nennt, für gültig erklärt. Diese Vereinfachung findet man z.B. wieder in jenen Analysen, die von einer Prämisse ausgehen, gemäss welcher im Modell der Ehe, in welchem der Mann für einen Chef arbeitet, während die Frau sich um die Hausarbeit kümmern muss (ein Modell, das übrigens heute immer weniger hegemonisch ist), der Mann deshalb „der Chef“ der Frau sei. Viel interessanter ist es, in dieser Situation zu erkennen, dass der Chef des Mannes eher auch jener der die tägliche Rückkehr des Mannes zur Arbeit garantierenden Frau ist. Die Ausbeutungssituation ist somit gewiss auf inakzeptable Art und Weise von Geschlechterrollen geprägt, doch sie ist als solche geteilt und man kann somit nicht mehr behaupten, die Männer würden die Frauen ausbeuten [1], in diesem Fall beuten die Chefs Männer und Frauen aus. Diese Vielschichtigkeiten würden weitere Entwicklungen verdienen, doch wir werden sie heute als Hintergrund gebrauchen, um eine der Geschlechterschlachten zu analysieren, so wie sie heute geführt wird, innerhalb der staatlichen Verwaltung bis in die Milieus mit subversiven Ansprüchen hinein: der Kampf für die Feminisierung der Sprache, oder, wie wie es die linguistischen Behörden des Staates nennen, die Schlacht für die Durchsetzung der sogenannt „einschliessenden“ Schreibweise.

Wörter sind keine Ampeln

Unter den aktivistischen Praktiken, die als einfach anwendbare Lösungen angeboten werden, um die dieser Welt inhärenten Formen der Ungerechtigkeit zu korrigieren – und es ist eine der Eigenschaften der Epoche, zu glauben, dass aktivistische Praktiken zu Wundermitteln erhoben werden können – ist es offensichtlich notwendig, den Kampf um die „Feminisierung“ der Sprache in seinen Voraussetzungen, Wirkungen und Folgen seiner sich systematisch wollenden Anwendung ernsthaft zu untersuchen. Diese „Feminisierung“ der geschriebenen Sprache, oder „einschliessende Schreibweise“, präsentiert sich als praktische Lösung (in den beiden Bedeutungen des Begriffes, sowohl konkret und einfach realisierbar, da eine kleine Anstrengung angeblich reichen würde, um unsere Art zu sprechen und die damit einhergehenden Repräsentationen zu ändern), um zur Befreiung der Frauen beizutragen – wieso würde sonst zu ihrer Entwicklung beigetragen und sie auferlegt, wie es der Fall ist mit einigen Portalen des Milieus mit subversivem Anspruch? [2] In Anbetracht des zwingenden Charakters dieser Sprachreform, die viele sich selber und anderen auferlegen, und der strukturellen und strukturierenden Bedeutung der Sprache für uns als menschliche Wesen, kann man sich ehrlich fragen, was die Feminisierung der Sprache zur Emanzipation der Frauen beiträgt, und sich wundern, dass diese Frage so selten gestellt und fast nie debattiert wird. In Wirklichkeit bequemen sich nur wenige, sogar unter ihren Verteidigern, zu jeglicher Rechtfertigung oder Erklärung für diese Entscheidung, die somit als unerheblich erscheinen kann. Es kann schon mal gesagt werden, dass die Präsentation eines Vorschlags als Offensichtlichkeit schon als Mittel der Überzeugung dient, gleichzeitig erspart man es sich, zu seiner Rechtfertigung argumentieren zu müssen.

Doch ist diese Praxis wirklich unerheblich?

Wir werden uns hier auf eine gewisse aktivistische Erfahrung stützen, die Erinnerung an das Aufkommen der Feminisierung der Sprache im Laufe der 1990er Jahre in den alternativsten Sektoren, danach hat sie sich durchgesetzt und war vorherrschend, sowie auf die seltenen und stets kategorischen Argumente, um die Verbreitung dieser neuen Norm zu rechtfertigen. Das wird auch die Gelegenheit sein, sich die Frage zu stellen, wie es möglich geworden ist, zu denken, dass wir die Wege der Emanzipation mithilfe von Normen und Prozessen der Reglementierung finden werden.

Sollte es notwendig sein, die Bedeutung dieser Frage zu belegen, kann man von einer Norm sprechen, es genügt, anzumerken, dass die Feminisierung der geschriebenen Sprache, nachdem sie in gewissen aktivistischen Milieus eingeführt worden ist (das geht so weit, dass sie dazu beigetragen hat, eine Art Idiom, eine identitäre Folklore zu konstituieren), heutzutage sogar innerhalb der Institutionen übernommen worden ist, in diesem Fall z.B. vom Bildungsministerium, das nun bei Hatier ein komplett in „einschliessender Schreibweise“ feminisiertes Schulbuch für Primarschüler anbietet. Gleichzeitig führen gewisse französische Universitäten die Feminisierung in der Verwaltungssprache ein und die Académie française äussert sich zur Frage mit all ihrer reaktionären Finesse, deren Geheimnis nur sie kennt. Der Erfolg dieses Durchbruchs ist natürlich das Resultat einer aktiven Lobbyarbeit, nicht nur in unseren Milieus, sondern auch im Kern der Macht, und er verursacht eine Polemik, in welcher die reaktionärsten Verteidiger der langue française die Bühne betreten und sich darüber empören, dass alles den Bach runtergeht, und über das, was man unseren lieben blonden Köpfen beibringt, obwohl sie eher einen Auto fahrenden Papa und eine kochende Mama brauchen würden und Maurras lesen sollten, wodurch der anscheinend subversive Charakter des Vorschlags validiert wird. Aber vielleicht haben diese freundlichen Damen und Herren der Académie française trotzdem Recht?

Wir sprechen hier natürlich aus einer anderen Position und wir möchten annehmen, dass, wenn man eine aktivistische Praxis verteidigt oder kritisiert, man es mit einem Minimum an Autonomie tun kann, die notwendig ist, um sich nicht unmittelbar innerhalb der Debatte zu verorten, wie es der Zeitgeist gerne hätte. Wenn man etwas darüber nachdenkt, drängt sich mit dieser Übernahme der Feminisierung durch die Institutionen, wodurch die anti-autoritären Milieus und die Anordnungen des Staates nun gleich tönen, nicht eine erneute Überprüfung dieser so einfach integrierbaren und integrierten Praxis auf? Ist es ein historischer Schritt für die Emanzipation der Frauen, die gleiche Art historischer Schritt wie die Institutionalisierung der Forderung nach der Gleichstellung von Männern und Frauen in den politischen Parteien und der Regierung? Sollten wir uns damit begnügen, die Tatsache zu beklagen, dass diese Gleichstellung nicht respektiert wird und dass Macrons Verordnungen nicht feminisiert sind und somit uns für einen Radikalismus der Institutionalisierung der Normen dieses Vorschlags einsetzen? Wir werden sie hier eher von einem revolutionären und verwaltungsfeindlichen Standpunkt aus in Frage stellen (ein anderer Standpunkt also), d.h. uns fragen, ob die Feminisierung der Texte, sei sie von Gertrud in ihrem besetzten Haus, von Zebulun in seinen Broschüren oder dem Staat in seinen Schulbüchern oder seinem Strafgesetz praktiziert, ein Beitrag zur Befreiung der Frauen sein kann.

Die Sonne hat eine Verabredung mit dem Mond

Viel mehr als andere Sprachen ist die französische eine Sprache, die man als grammatikalisch geschlechterspezifisch bezeichnen kann. D.h., dass die Polarisierung des Maskulinums und des Femininums sich darin verallgemeinert hat, denn man sagt le soleil und la lune, une girafe und un éléphant, un arbre und une feuille… Diese Polarisierung hat das genau wie das Maskulinum und das Femininum in alten Sprachen wie Latein oder Griechisch und in vielen heute noch gesprochenen Sprachen präsente Neutrum fast zum Verschwinden gebracht. Ausgehend von einer falschen Offensichtlichkeit hört man häufig, dass dieses Verschwinden des Neutrums „zugunsten“ [3] des Maskulinums geschehen ist, dieses dient dazu, feminine und maskuline Wörter zu verallgemeinern oder zu gruppieren, im Gebrauch der Kongruenzen des Plurals z.B. Man hört auch, dass „das Maskulinum über das Femininum siegt“. Ausgehend von dieser Beobachtung geht das Prinzip der „einschliessenden Schreibweise“ davon aus, dass die Sprache eine Herabsetzung der Frauen beurkundet und bewirkt und dass also im Namen dieser Gleichheit des Daseins in der Sprache das Geschlechtergleichgewicht wieder ausgeglichen, das Maskulinum zurechtgewiesen werden muss, indem ihm systematisch durch diverse Mittel das Femininum zur Seite gestellt wird. Doch „zugunsten“ und „siegt“ werden hier als Metaphern gebraucht. D.h., dass, indem man den Zustand der Sprache als Schlachtfeld darstellt, man eine kleine Fabel der Worte konstruiert, die Siege und Niederlagen in Szene setzt, ein bisschen wie Victor Hugo in Réponse à un acte d’accusation (siehe nebenan [in der Zeitschrift]). Es ist offensichtlich, dass er sich in diesem Gedicht amüsiert, indem er uns eine Fabel der Gesellschaft erzählt, in welcher die Wörter soziale Kategorien repräsentieren, und eine Revolution, die sie dank ebendiesem Gedicht umstürzt, und dass er nicht glaubt, dass dieser „Sturm im Tintenfass“ ohne Vermittlung und in sich selbst ein sozialer Sturm ist.

Es kann freilich über den Sinn dieser metaphorischen Konstruktion in einem allgemeinem Kontext, in welchem das Maskulinum über das Femininum „siegt“, nachgedacht werden, doch es ist gewiss absurd, die Metapher wortwörtlich zu nehmen. Die metaphorische Schlacht findet nicht im wirklichen Leben statt, und umgekehrt. Zudem handelt es sich um eine falsche Offensichtlichkeit, gestützt auf eine zu hastige Beobachtung. Die Geschichte der Errichtung der grammatikalischen Genera, so wie sie rekonstruiert werden kann, lehrt uns, dass in älteren, von der hypothetischen indoeuropäischen Sprache (eine sehr fragwürdige Hypothese, die nur zum Verständnis von Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen verschiedenen gegenwärtigen Sprachen dient) repräsentierten Formen die Zweiteilung der linguistischen Genera zur Unterscheidung des Beseelten vom Unbeseelten dient. Dann interveniert das Femininum, das aufgrund seiner Morphologie dem künftigen Neutrum ähnelt und z.B. zum Ausdruck abstrakter Konzepte dient (das ist im Französischen immer noch der Fall, man sieht es an allen Substantiven mit den Suffixen -té wie liberté oder -tion wie révolution). Erst ziemlich spät wird es zur Spezialität des genannten „Femininums“, beseelte Wesen zu beschreiben, die „feminin“ genannt werden. Die Tatsache, dass „das Maskulinum siegt“, z.B. in der Kongruenz des Plurals, erklären gewisse Linguisten, abgesehen von den Unwägbarkeiten der Sprache, welche zu diesem Zustand geführt haben, der, wie all ihre Zustände, zwingend provisorisch ist, mit der Tatsache, dass das Maskulinum unmarkiert ist, somit steht es dem Neutrum näher und ist besser fähig, verschiedene Genera zu gruppieren.

Dennoch ist es heute unbestreitbar, dass einige Sprachen, und besonders die französische, das Neutrum zum Verschwinden gebracht haben, um eine geschlechtliche Polarisierung maskulin-feminin herbeizuführen, die scheinbar der von dieser Welt auferlegten geschlechtlichen Zweiteilung der lebenden Wesen angemessen ist.

Diese einfachen Feststellungen werfen gewisse Fragen auf. Ist die Stellung der Frauen zwingend unterschiedlich, wenn die Sprache nicht auf dieser Polarisierung basierend funktioniert und inwiefern? [4] Wäre weniger Maskulinum und Femininum in der Sprache gleichbedeutend mit weniger Geschlecht oder anderen Geschlechterverhältnissen in den gesellschaftlichen Verhältnissen? Die Realität der Sprache jenseits der Konstruktion der linguistischen Genera dementiert diese Hypothese. Die Motivation des Genera der Nomen sind dermassen komplex und entsprechen kaum einem System (geschweige denn einer Motivation), dass sie nicht in einer vereinfachenden ideologischen Hypothese gelesen werden können, welche aus ihnen das Resultat eines inhärenten Sexismus macht. Natürlich kann man mit den Repräsentationen spielen, indem man ihre Motivationen in personifizierten und allegorisierten Formen verändert. Der Mond kann ein Junge werden und die Sonne ein Mädchen, in Gedichten und Liedern, weil man darin mit der Phonetik und der Grammatik spielt, man versucht die Konnotationen der Begriffe wieder zu beleben, aber nicht im wirklichen Leben, nicht mehr als dass ein Tisch etwas maskulines und eine Decke etwas feminines hätte. „Eine Person“ im Femininum spricht nicht mehr von Frauen als „ein Individuum“ im Maskulinum. Die Zuteilung der Genera im Französischen ist zutiefst willkürlich, was nicht bedeutet, dass sie nicht für jeden Begriff eine komplexe Geschichte hat, sinnlos ist oder man nicht darüber nachdenken könnte. Was Sinn macht, ist sehr wohl diese Besonderheit einer verallgemeinerten Polarisierung und die Tendenz hin zu einer Fixierung der Genera, welche die Interferenzen und Variationen zum Verschwinden bringt, diese erlaubten es z.B. vor einigen Jahrhunderten, dass gewisse Begriffe den Genus wechseln, maskulin sind im Singular und feminin im Plural (délice, amour und orgue bezeugen das heute noch). Diese Verabsolutierung der Polarisierung der linguistischen Genera geht mit der Verweigerung und Korrektur – Merkmale eines gewissen Klassizismus – aller syntaktischen und orthographischen Skurilitäten einher. Deshalb sind die Texte vor dem 17. Jahrhundert für jene so schwierig zu lesen, welche wie wir an eine normierte Sprache gewohnt sind.

Man schlägt also vor, das Geschlechtergleichgewicht wieder auszugleichen, den in der Sprache schon beurkundeten „Sieg“ des maskulinen Genera zu bestreiten, indem ein Arsenal an Regeln durchgesetzt wird (mehrere Vorschläge stehen im Konflikt zueinander, man kann sich fragen, welcher wirklich institutionalisiert werden wird und aufgrund welcher Kriterien), um das feminine Genus wieder als sein Gleiches in einer Art gleichberechtigtem Gesellschaftsvertrag der Wörter zu institutionalisieren.

Man darf sich auf dieser Ebene ebenfalls als Revolutionär die Frage stellen, was an diesem Gesellschaftsvertrag genau subversiv sein soll. Es scheint nämlich, dass man sich jetzt schon fragen kann, weshalb, statt dass man der Reglementierung noch mehr Reglementierung hinzufügt, man nicht eher mit Formen der Dereglementierung experimentieren sollte. Diese Frage würde es verdienen, ernsthaft gestellt zu werden. Es gab eine Zeit, die von der sogenannt „klassischen“ Epoche definitiv begraben worden ist, wo es nicht offensichtlich war, dass ein Wort immer gleich geschrieben werden musste oder dass jeder Gebrauch davon der linguistischen und jakobinischen Normativität einer offiziellen und von der zentralen Behörde validierten Sprache unterstehen sollte. Auf jeden Fall ist es gewiss, dass die Regeln der Feminisierung dieser grundlegend progressistischen und zur gleichen Epoche wie der berühmte Sieg des Maskulinums über das Femininum entstandenen Idee Tribut zollen, welche möchte, dass die Sprache sich durch sukzessive Normalisierung und Uniformisierung verbessert und die Sprache von heute somit zwingend besser ist als jene von gestern, denn sie ist in den Genuss der vermeintlichen „Fortschritte“ der Wissenschaft und des Egalitarismus gekommen. Alles in allem wird es womöglich diese gleiche Ideologie des Fortschritts sein, welche es z.B. geschafft hat, aus der Polizei, den Gefängnissen oder der Atomkraft etwas normales und akzeptables zu machen, welche es schaffen wird, der „einschliessenden“ Schreibweise zum Sieg zu verhelfen.

Es bleibt eine Feststellung: Der Genus in der Sprache ist nicht das Geschlecht im Leben und die Stärkung des Femininums in der Sprache stärkt nichts ausser die Präsenz einer grammatikalischen Kategorie, worin wir kein Interesse sehen. Hinzu kommt, dass diese Praktiken der Feminisierung die Polarisierung der Sprache stärken, z.B. indem man sich dem Gebrauch des Neutrums verweigert und gewisse unmarkierte Begriffe markiert wie im Falle von gens [Leute], ein jenseits dieser Kategorien stehendes Wort, dessen Genus durch seine zwingende Pluralform neutralisiert wird. Der Gebrauch von gen-tes rekonstruiert maskulin und feminin dort, wo es für einmal so etwas wie ein Neutrum gab. Die Feminisierung der Sprache ist somit weit davon entfernt, die Omnipräsenz der geschlechtlichen Polarisierung zu überwinden, sie stärkt sie sogar, schliesslich ist in Anbetracht dieser Polarisierung allen voran das Neutrum schwer zu konzipieren. Einmal mehr werden die Möglichkeiten von etwas anderem, einer Überwindung des Geschlechts oder eines Ausstieges aus diesen Rollen geächtet, diesbezüglich sind die Anhänger der Feminisierung alles andere als eine Ausnahmeerscheinung. Doch ist es überhaupt das Ziel dieser Praxis, die sich für subversiv hält?

Erinnerung: Die Wörter sind nicht die Dinge

Zu glauben, dass die Wörter die Dinge sind, dass das Wort Fisch ein Fisch ist, dass das Wort Hund beisst oder dass das Maskulinum und das Femininum der Sprache das Geschlecht in den gesellschaftlichen Verhältnissen ist, ist ein Standpunkt, der einen Namen hat. Es ist der Kratylismus, vom Namen einer gegenüber Sokrates inszenierten Person in einem Dialog Platons mit dem selben Namen. Kratylos verteidigt darin gegen Sokrates die Idee einer Transparenz der Sprache mit dem, was sie beschreibt, einer natürlichen Richtigkeit der Wörter. Der Kratylismus kann eine Art und Weise sein, sowohl die Welt als auch die Sprache zu verzaubern. Kinder, Dichter und Verrückte, um Platon zu paraphrasieren, – oder das Kind, der Dichter oder der Verrückte, der in uns allen sein kann –, können die Möglichkeit einer solchen Unmittelbarkeit eröffnen und verletzt werden vom Wort „verletzt“, sich vom Wort „Hund“ gebissen fühlen, Musik hören im Wort „Musik“ oder die Farbe der Vokale beschreiben. Doch man kommt nicht um die Feststellung umhin, dass diese verrückte, poetische und kindliche Verzauberung der Sprache das Gegenteil einer Reglementierung ist, die zum Ziel hätte, ihren Gebrauch zu normalisieren, indem sie versucht, sich aufzudrängen, wie es der Fall ist mit der „einschliessenden Schreibweise“. Es handelt sich eben genau um das, wovon wir zuvor sprachen, eine Dereglementierung, das Gegenteil also. Kinder, Dichter und Verrückte sind übrigens sowieso jene, welche auf dieser Ebene wie auf anderen auch definitionsgemäss marginal sind gegenüber einer Position der Autorität, und ganz sicher nicht in einer Position, um Gesetze oder Normen zu erlassen. Es handelt sich um individuelle, erheiternde, kreative und grundlegend anormale Gebräuche, welche diese üblichen und normierten Inhalte der Sprache durcheinander bringen, indem sie sie für eine Weile aus ihren kommunikativen Funktionen herausreissen, und welche nur in Ausnahmefällen geteilt werden. In Wirklichkeit also das genaue Gegenteil jener, welche sich dafür einsetzen, die Feminisierung der Sprache aufzudrängen. Doch es ist nicht das einzige Gebiet, wo die Kinder, die Dichter und die Verrückten einen weit subversiveren Weg gehen als die politischen Aktivisten.

Für jeden und in ihrem banalen Gebrauch ist die Sprache eine Vermittlung zwischen den Wörtern und den Dingen, zwischen dem Sprechenden und der Welt. Die Wörter (und die Art und Weise ihrer Kombination) sind grundlegend willkürlich und die Aneignung dieses willkürlichen Verhältnisses ist komplex. Die Wörter sind nicht die Dinge, nicht einmal der Code der Dinge, wenn man den Code als ein einfaches vermitteltes Verhältnis betrachtet, das direkt was wir sagen und was wir sagen wollen miteinander verbindet. Die rote Ampel ist ein Code, er ist willkürlich, doch er sagt uns unmittelbar, dass wir anhalten müssen. Die Wörter sind keine Ampeln, sie sind subtile Zeichen, und die von ihnen durchgesetzte Vermittlung im Verhältnis zur Welt ist komplex. Es ist diese Komplexität, welche auch den Reichtum im Verhältnis zur Sprache ausmacht, die Möglichkeit, mit den Wörtern zu spielen, sie von ihrem Gebrauch abzubringen, um sie mehr, weniger oder etwas ganz anderes sagen zu lassen, als das, was sie die Willkür des Zeichens sagen lässt. Sie haben eine Bezeichnung, einen einfachen Sinn, der vom Wörterbuch definiert werden kann und die Kommunikation erlaubt, doch auch eine Vielzahl variabler Konnotationen (die von ihnen ausgelösten Gedanken, Träume, Gefühle…) auf der Ebene sozialer Gruppen, aber auch kleinerer Gruppen oder gar auf individuellem Niveau. Die Bedeutung ist nicht eine mechanische Operation, die schlichtweg jedes Wort mit einem Ding verbindet, es ist eine undurchsichtige, reiche und komplexe Operation, die Unverständnis genau wie das Gegenteil hervorbringt, Möglichkeiten zur Überraschung auf jeden Fall. Und genau deswegen ist die Übersetzung eine sowohl riskante als auch spannende Operation.

Deshalb braucht es ein Minimum an Feinfühligkeit, wenn man versucht, zu verstehen, was die Sprache über die Wahrnehmung der Welt sagt, umso mehr jener, welche von ihr durchdringt ist. Und es ist genau diese Etappe der Analyse, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, wenn man über die Sprache intervenieren will – ein Projekt, das in sich schon fragwürdig ist, wir werden darauf zurückkommen –, welche unsere einschliessenden Aktivisten scheinbar übergangen haben. Eine extreme und mechanische Vereinfachung ersetzt sie: Die Sprache widerspiegelt die Wirklichkeit der Welt und der sich in ihr ausbreitenden Verhältnisse und die Tatsache, dass das Maskulinum über das Femininum „siegt“, widerspiegelt die Herrschaft der Männer über die Frauen. Und wir werden an all diesen aktivistischen Vereinfachungen sterben. Erste Vereinfachung, die wir schon weiter oben dekonstruiert haben (denn wir dekonstruieren lieber Argumente als Leute): Dieser Vorschlag würde bedeuten, dass der Genus in der Sprache das Geschlecht im Leben ist. „Siegen“ wird bequem wortwörtlich genommen und der hinkende Vergleich kann plötzlich laufen, die Männer siegen im wahren Leben über die Frauen genau wie das Maskulinum über das Femininum siegt. Das „Privileg“ des Maskulinums, z.B. eine neutralisierende Funktion der Genera im Plural zu haben, wird zu einem „Privileg“ der Männer über die Frauen. Man sorgt sich darüber, dass das Maskulinum das Femininum [5], dass der Mond die Sonne, der Gefangene die Wärterin unterdrückt. Auf jeden Fall ist, wie wir es weiter oben gesehen haben, dieses exzessiv vereinfachte Verständnis der Mechanismen der Sprache schon sehr anfechtbar. Von einem revolutionären Standpunkt aus betrachtet, ist es nicht erstaunlich, dass diese Forderung sich ein Stelldichein mit den „neuen“ Forderungen der postmodernen äusseren Linken gibt: Gegen die Diskriminierung die Ordnung der Dinge akzeptieren, gegen den Rassismus mit der „Rasse“ denken, gegen den westlichen den östlichen Block wählen und gegen die geschlechterspezifische Herrschaft „einschliessend“ schreiben, die Buben mit rosaroten und die Mädchen mit blauen Kugelschreibern. Und ganz kratylisch wird der Sexismus alsobald zusammenbrechen…

Danach folgt gemäss der gleichen Logik ein noch akrobatischerer Schritt: Die Intervention über die Sprache durch die systematische Anfügung femininer Markierungen habe einen ausgleichenden Einfluss auf die realen Herrschaftsverhältnisse. Wir werden hier nicht länger auf die Tatsache eingehen, dass dieser Vorschlag die geschriebene gegenüber der gesprochenen Sprache privilegiert, was nicht unbedeutend ist und eine grundlegende Machtlosigkeit offenbart: Es gibt Sprachen ohne Schriftsprache, wie werden sie feminisiert werden können? Die diversen vorgeschlagenen schriftlichen Kunststücke sollen, durch einen durch und durch kratylischen Zauber, eine tiefe Modifikation der realen Geschlechterverhältnisse zur Folge haben, oder uns zumindest davor bewahren, diese Herrschaftsform zu reproduzieren. Doch wir finden, dass dieser Vorschlag nicht nur von einer verstörenden illusorischen Naivität zeugt, sondern dass auch die einfache Idee, dass die Anfügung des Femininums den Frauen eine bessere Stellung verschafft, überdacht werden sollte. Man sagt uns nämlich, dass, und es ist eine der einzigen Behauptungen zur Durchsetzung dieser Praxis, die einem Argument ähnelt, die Feminisierung der Sprache notwendig sei, damit die Frauen im Diskurs existieren, das neutrale Maskulinum spreche nur von Männern. Doch ist das wirklich so?

„Sie“ ist keine Frau, eine Frau ist eine Frau

Es kann also die folgende grundlegende Frage gestellt werden: Existiert etwas im Diskurs, und was, durch die Feminisierung? Existieren „die Frauen“ durch das Pronomen „sie“ [elles] in einem Satz, in dem, was er aussagt? Existieren das Subjekt, der Andere oder die Anderen als Frauen tatsächlich durch die Feminisierung der Pronomen, Nomen und Adjektive? Man kann mit der Tatsache einverstanden sein, dass in dieser Welt, wo die Männerherrschaft auf der symbolischen Ebene stabil ist, – was die Stellung des Maskulinums in der Sprache wahrscheinlich bezeugt, aber auf eine komplexe und spezifische Art und Weise [6] – die Sprache in ihren gewöhnlichsten Gebräuchen nicht adäquat ist, um „von Frauen“ als Frauen zu sprechen. In ihren normalen Gebräuchen ist die Sprache stets auf der Seite der Durchsetzung und der Stärkung der Norm. Sie festigt die Gewöhnlichkeit, woraus diese Welt besteht, mit all ihren Gegebenheiten, sie versteinert die Ideologie, wovon die Geschlechterverhältnisse Teil sind. Über die Wirklichkeit der Bedingung als Frau zu sprechen ist gleichbedeutend mit einer Bearbeitung der Sprache, um sie das sagen zu lassen, woran sie nicht gewöhnt ist.

Der Glauben an die Tatsache, dass man durch die sogenannt „einschliessende“ Schreibweise nur kosmetisch die Form bearbeitet, zeugt allerdings von einer erstaunlichen Naivität. Es handelt sich darum, allen Dimensionen der Sprache etwas Wirklichkeit der Wesen und ihrer Verhältnisse einzuhauchen. Inwiefern spricht ein feminisierter Text mehr von mir, von dir oder von ihr als Frau. Kann das, wovon wir sprechen wollen, ernsthaft mit der Transformation von Pronomen oder der Beifügung von -in zusammengefasst werden? Als Louise Labe im 16. Jahrhundert ein Gedicht über die weibliche Lust – subversives Thema schlechthin im 16. Jahrhundert, und nicht nur – schreibt, benützt sie keine formell femininen Markierungen, sondern die erste Person (übrigens geschlechtlich nicht markiert, genau wie die zweite, wahrscheinlich, weil es eben genau darum geht, eine Singularität zu beschreiben), und sie bearbeitet die Sprache dahingehend, dass sie sagen kann, was normalerweise mit ihr nicht gesagt wird (siehe nebenan [in der Zeitschrift]). Und dadurch kann diese in Poesie verwandelte Sprache eine universelle Reichweite erlangen: Ein feminines Ich existiert durch dieses Gedicht und es kann unmittelbar von allen geteilt werden. Um Montaigne und seinen relativistischen Universalismus, ungefähr das Gegenteil des universalisierten Relativismus der Postmodernität, zu paraphrasieren, es trägt in sich die gesamte Form der menschlichen Bedingung.

Ist es darüber hinaus nicht offensichtlich, dass diese Schwierigkeit der Sprache – als Ort und Werkzeug der Norm und der Normalisierung –, die Realität auszudrücken, woraus jeder gemacht ist, insofern als dass sie sich eben genau dieser Norm entzieht, oder gar allgemeiner die Welt auszudrücken, ihre Gewalt und ihre Leichtigkeit, ihre Dunkelheit genau wie ihr Licht, das, was in ihr erlebt und nicht erlebt wird, was alles in allem ihre Materie und diejenige der sie bevölkernden Wesen ausmacht, eine Gegebenheit ist, mit welcher alle, Mann wie Frau, meistens übrigens jenseits der Frage, ob man ein Mann oder eine Frau ist, konfrontiert sind? Die Sprache gründet auf Kategorien (wovon das Maskulinum und das Femininum Teil sind) und institutionalisiert sie, sonst würden wir uns nicht verstehen, und man muss ihr Gewalt antun, um mit ihr das Besondere, das Minoritäre, das hoffnungslos Andere zu sagen. Der Ausdruck und das Verständnis der Welt so wie sie ist, der Verhältnisse so wie sie sind, erfordern die Abwendung von den gewöhnlichen normalisierenden Gebräuchen dieser konstitutiv sozialen Vermittlung, welche die Sprache ist. Es ist eine Anstrengung, die weit über die Frage der Genera hinausgeht und von der man nicht ernsthaft glauben kann, dass man sie sich durch rein kosmetische und dümmlich formelle Reglementierungen und Verzeichnisse ersparen kann.

Um auf die Frage des Genus zurückzukommen, wenn man „LandwirtIn“ schreibt, spricht man nicht von Landwirtinnen, und es ist nicht einmal eine notwendige Bedingung, um von ihnen zu sprechen. Um von der spezifischen Situation der Landwirtinnen zu sprechen (und es gibt dazu etwas zu sagen), muss man von dem sprechen, was sie erleben. Und wenn man von „Landwirten“ spricht, hängt die Tatsache, ob die Landwirtinnen Teil davon sind oder nicht, strikt davon ab, was man darüber sagt. Deshalb ist der Ausdruck „einschliessende Schreibweise“ eine Absurdität, ein falsches Versprechen: Sie wird nie etwas anderes einschliessen als grammatikalische Kategorien, sicher keine Lebewesen und das, was sie erleben. Um Lebewesen und das, was sie erleben, einzuschliessen, muss man das verändern, wovon man spricht. Die Fokussierung auf die Form des Ausdrucks und der naive Glaube an ihre Allmacht entfernt die Sprache nur noch weiter von diesen Wirklichkeiten, von denen man behauptet, sie würden „eingeschlossen“.

Wenn man übrigens über die eigentliche semiologische Dimension der Feminisierung der Sprache nachdenkt, erkennt man schnell, dass durch die Tatsache der Feminisierung nicht viel mehr existiert als sie selbst: Durch die Feminisierung existieren nicht „die Frauen“, man existiert einfach selbst als die Sprache feminisierend. Sie dient also dazu, sich zu bekräftigen, sich abzugrenzen, und nicht dazu, die Utopie der „einschliessenden Schreibweise“ zu verwirklichen. Wenn man z.B. von ZahlerInnen spricht, ist es die Tatsache, dass man von ZahlerInnen statt Zahlern spricht, die bemerkt wird und Aufmerksamkeit erschafft, nichts anderes, auf jeden Fall wird es stärker bemerkt, als das, wofür dieser oder jene gezahlt hat. Wenn man jedoch die willkürlichen Prinzipien der „einschliessenden Schreibweise“ nicht verteidigt, schliesst „Zahler“ die Frauen nicht aus, das Wort sagt nichts über ihre Anzahl oder ihre politische Identität, es ist übrigens viel anonymer. Doch zwischen der Anonymität und dem Streben nach Anerkennung durch den Unterdrücker muss natürlich irgendwann endgültig entschieden werden, denn die beiden Vorgehensweisen, die allerdings gleichzeitig verteidigt werden, sind inhärent höchst widersprüchlich. Man positioniert sich schliesslich in einer gewissen Distanz zur Norm, was eine andere Norm notwendig macht, und das ist fast alles, dadurch existiert man selber als sprechend im Diskurs.

Als Vermittlung zwischen den menschlichen Wesen und der Welt ist die Sprache eine lebendige, fluktuierende, strukturelle und strukturierende Materie, ein Schlachtfeld zwischen der Gewöhnlichkeit der Norm und den Besonderheiten ihrer Gebräuche. Mögen sie subversiv oder beherrschend sein, ihre Gebräuche verändern sie permanent. Deshalb sind jene einer sich stets erneuernden Illusion verfallen, welche behaupten, über sie Gesetze zu erlassen und sie zu reglementieren. Sie sind immer dabei, das festzustellen, was existiert, während sie daran denken, das durchzusetzen, was existieren muss. Das gilt z.B. für die traditionelle normative Grammatik, die sich als Ensemble an anwendbaren Regeln präsentiert, obwohl sie nichts anderes als eine Art und Weise ist, einen Gebrauch zu formalisieren, der ihr vorausgeht und an welchen sie sich mit ein bisschen Verspätung anpasst. Es genügt, die „Ausnahmen“ zu betrachten, die jede grammatikalische oder orthographische Regel begleiten: Sie betreffen immer die am häufigsten benutzten Begriffe (man kann an die sogenannt irregulären Verben denken, z.B. die Hilfsverben „sein“ und „haben“, die eben genau die am häufigsten benutzten und die irregulärsten sind). Der sich stets in Bewegung befindende und notwendigerweise sozialisierte wirkliche Gebrauch der lebendigen Sprache dereglementiert sie permanent und die normative Grammatik rennt pathetisch hinter diesen Dereglementierungen her, um sie als neue Regeln zu institutionalisieren. Diese Feststellung führt zur Einsicht, dass die Reglementierung der Sprache an sich eine vergebliche und reaktionäre Unternehmung ist, der nicht einmal der in Frankreich seit einigen Jahrhunderten vorherrschende grundlegende und zögerliche Klassizismus Effizienz verschaffen kann. Als die Académie française Mitte der 1990er Jahre im Namen der Verteidigung der Sprache beabsichtigt, die Einführung von aus dem Englischen stammenden Begriffen (die berühmten „Anglizismen“) aufzuhalten, indem sie schon benutzte Wörter mit anderen ersetzt, die einheimisch sein sollen (sie möchte z.B. durchsetzen, dass man bouteur anstelle von bulldozer benutzt), beweist sie unmittelbar und offenkundig die Vergeblichkeit ihrer Rechtsprechung. Man sagt schon bulldozer und keine Reglementierung wird es verhindern können… Sie kann befriedigt feststellen, dass man ihr gehorcht, wenn sie die Tatsache reglementiert, dass das h von haricot nicht mehr aspiriert sein muss und die Bindung mit dem -s des Artikels im Plural möglich ist, dann ist das so, weil es im Gebrauch ohnehin schon der Fall ist!

Man kann übrigens davon ausgehen, dass die Feminisierung der Sprache im Gange ist, entsprechend der Veränderung der Stellung der Frauen in der Gesellschaft, im Kapitalismus, in Machtpositionen und in den Repräsentationen, doch ebenfalls, dass es gewiss ist, dass diese Feminisierung der Sprache nicht emanzipatorischer sein wird als die Stellung, welche der Kapitalismus und der Staat den Frauen heute einräumen.

Niemand kann sich ernsthaft anmassen, in einer Kammer und von oben die Gebräuche der Sprache zu reglementieren. Jene, welche sich diese Rolle geben und dadurch Prestige und Macht erlangen, sind nicht schlauer und nicht minder lächerlich als der Vater Ubu. Und kann man wirklich rund um den Vater Ubu eine revolutionäre Mythologie konstruieren? Wir bezweifeln es.

Genau aus dem gleichen Grund bleiben Projekte wurzellos geschaffener, universeller Sprachen zur Ermöglichung der „Völkerverständigung“ wie z.B. Esperanto, davon abgesehen, dass sie sich auf eine sehr armselige Konzeption der Sprache und ihres Gebrauchs stützen, zum Glück bestimmt vergeblich, kläglich utopistisch und illusorisch. In seinem Text „Lernt nicht Esperanto!“ zeigt Gustav Landauer, inwiefern das Projekt und die Erfindung dieser Sprache abwegig sind, sowohl in ihren Zielen als auch ihrer Methode. In ihren Zielen allen voran, denn in einer Art Umkehrung von Wirkungen und Ursachen stützt sich das Projekt auf die (ursprünglich religiöse) Idee, dass die Vielfalt der Sprachen die Ursache der Teilung der Menschen ist. Diese Illusion ist ein vereinfachtes Echo des biblischen Mythos des Turms von Babel: Die Vielfalt der Sprachen ist eine göttliche Strafe, die zu Unstimmigkeit und Krieg führt. Zweite Illusion: Die Wiedererschaffung einer sprachlichen Einheit erlaube die Wiedererschaffung einer menschlichen Einheit, die Wiederentdeckung des verlorenen Paradieses einer befriedeten Menschheit. Man findet die gleichen theoretischen Vereinfachungen und die gleichen Mechanismen zur Identifikation eines Problems und zu seiner einfachen Lösung wie bei den Anhängern der Feminisierung wieder. Grundlegender zeigt sich gut, wie dieses falsche Räsonnement sich auf eine armselige und reduzierende Konzeption der Sprache stützt: Indem man diese Sprache fabriziert, begnügt man sich damit, sich auf den Ausdruck des schon Bekannten zu beschränken, auf eine Funktion strikter Kommunikation ohne Erfindungsgabe, ohne Traum, ohne Poesie. Eine behauptete „Gleichheit“ der Menschen in der Sprache, stets nach unten angeglichen, auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht, ein weiterer Traum der Demokraten. „[D]as künstliche Gemächte ist nichts worin der Mensch weiterdenken und Neues schaffen kann; es ist ja nur eine Übersetzung des Breitgetretenen, und das Wichtigste, das Feinste, das Unaussprechliche lässt sich darin nicht sagen.“ [7] Die überhaupt nicht subversive (oder gar anti-subversive) Vergeblichkeit einer Sprache, welche nur schon Bekanntes vermitteln, Normales, schon Integriertes in die Welt, so wie sie ist, und im besten Fall dazu dienen würde, das Bestehende so wie es ist aufrechtzuerhalten.

Die erzwungene Feminisierung der Sprache kann sich dieser Vergeblichkeit nicht entziehen: Man kann nicht die Sprache bearbeiten, wie ein Chirurg einen betäubten Körper oder der Gerichtsmediziner eine Leiche bearbeitet.

Und wenn es funktionierte, was würde aus uns und der Welt werden?

Dennoch müssen diese Sprachutopien als das gedacht werden, was sie sind, denn sich damit zu begnügen, ihre Vergeblichkeit festzustellen, reicht nicht. Es geht darum, durch die Sprache in jene Welt einzugreifen, welche sie vermittelt, und besonders in die Vorstellungen, welche sie auslöst. Die Sprache wird auf verschiedenen Ebenen sowohl durch individuelle als auch kollektive Vorstellungen bearbeitet und gleichzeitig werden diese von ihr bearbeitet, quer durch Jahrhunderte des Gebrauchs im Rahmen des alltäglichen Lebens. Wenn der süsse kratylische Traum einer bezüglich der Ideen, Wesen und Dinge transparenten Sprache sich in einer reglementierenden und normativen Unternehmung verkörpert, die zum Ziel hat, sich allen mit Aggressivität und Exklusivität aufzudrängen, haben wir es mit einem verrückten und beunruhigenden Projekt der Herrschaft über die Vorstellungen und Repräsentationen zu tun und somit, wenn man es weiter denkt, mit einem Produkt der Machtergreifung oder, banaler, der Ergreifung des bisschen Macht, die man findet, dort wo man sich befindet. Man arbeitet daran, diesen „neuen Menschen“ zu konstruieren, wovon die „neue Sprache“ die Prämisse sein wird. Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, inwieweit dieses Projekt, mag der Charakter des Ziels, das es sich gibt, auch noch so scheinbar lobenswert sein (sei es die „Völkerfreundschaft“ oder die Auflösung der Geschlechterverhältnisse), aufgrund der Mittel, durch welche es sich verwirklichen will, eine zutiefst autoritäre Dimension enthält. Man braucht sich nur vorzustellen, was geschehen könnte, wenn es funktionierte: Man hätte die menschlichen Wesen durch die Änderung ihrer Sprache geändert. Ein solches Projekt kann zum Träumen verleiten – und beunruhigen. Andere versuchten es schon und sie gehören zu den besten unter den verrücktesten Diktatoren. Eine der Spezifitäten des Regimes der Roten Khmer in Kambodscha war es z.B., der Reglementierung der Sprache eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, einer Transformation der Sprache, der Wörter und ihrem Sinn, u.a. durch Parolen und Propaganda, welche, da sie durch die charakteristischen Zwangsinstrumente dieser schrecklichen Diktatur temporär wirksam gemacht worden sind, es nicht schaffen, die Vorstellungen zu verändern, um den „neuen Menschen“ zu konstruieren, sondern nur, die Menschen zu vernichten. Einige wenig konventionelle Gedanken zur Funktionsweise dieser Regime, wie jene, welche man im Film Das fehlende Bild von Rithy Panh findet, zeigen die verheerende Wirkung dieser perversen Manipulation, die sich nicht damit begnügt, den Körper zu bearbeiten, sondern auch die Sprache und die sie bearbeitenden Repräsentationen foltert, bis zu einem Punkt, wo der Traum, das Denken, die Revolte verunmöglicht werden [8]. Vom Zeitpunkt an, wo sie versuchen, sich zu verwirklichen, sind die Sprachutopien nicht weniger beunruhigend als andere Utopien: Wenn man sich wirklich ernsthaft die Mittel gibt, um bei der Durchsetzung der Art und Weise, wie gesprochen werden muss, bis ans Ende zu gehen, so will man die durch die Sprache bezeugte, spontane, diffuse und lebendige Entwicklung der Vorstellung und des Denkens beherrschen und vernichten. Das wird durch diese Rechtfertigung der Verteidigung der Feminisierung der Sprache auf der Sammelseite für Broschüren mit mehr oder weniger subversivem Anspruch infokiosques.net in ihrer Rubrik „Feminisierung der Sprache“ bezeugt: „Die Umgestaltung der Sprache ist gleichbedeutend mit der Verweigerung einer Herrschaftsform, der Konstruktion eines anderen kollektiven Unbewussten.“ Wenn man diese Behauptung ernst nimmt, kann man eher behaupten, dass das Ziel der „Konstruktion eines anderen kollektiven Unbewussten“, wenn es mit einer autoritären Reglementierung der Sprache einhergeht, eben genau gleichbedeutend mit dem Traum der Institutionalisierung neuer Herrschaftsformen ist. Das ist schlichtweg Propaganda und wer auch immer das Unbewusste des anderen konstruieren will, oder gar schlicht und einfach Unbewusstes konstruieren, ist nichts anderes als ein totalitärer und repressiver Grössenwahnsinniger. Doch ist es letztendlich so erstaunlich auf einem Portal, das hauptsächlich postmoderne, vertragsähnliche Broschüren vertreibt, die stets normativ von den menschlichen Verhältnissen sprechen [9]?

Man ist natürlich mit der Feminisierung der Sprache sehr weit von der erschreckenden Effizienz des Regimes der Roten Khmer entfernt und die Vergeblichkeit ist eher der Horizont dieser Unternehmung, umso mehr, weil sie sich auf formelle, die schriftliche Sprache betreffende Aspekte beschränkt, das darüber hinaus in Formen, die unmöglich in die mündliche Sprache übertragen werden können (obwohl sich heutzutage einige übermässig anstrengen, um den einschliessenden Vorschlag auf die mündliche Sprache zu übertragen, mit Resultaten, die an Monty Python erinnern), was etwas über die Vorgehensweise aussagt. Ihre Verbreitung setzt sich nur in gewissen aktivistischen und professionellen Milieus durch, in welchen sie tatsächlich als Reglementierung und Norm fungiert. Sie wird dort zu einem Idiom, das einsperrt und die gegenseitige Wiedererkennung in der beruhigenden Behaglichkeit zwischen „Anti-Autoritären“ oder „toleranten“ und „einschliessenden“ Personen erlaubt. Die Übereinstimmung mit dieser Norm, die häufig angewendet wird, statt sich um die wirklichen Verhältnisse zu sorgen, drückt allen voran eine ideologische und getrennte Zugehörigkeit aus. Die Besonderheiten einer Sprache, die sich als Jargon konstituiert, schweissen die Gemeinschaft zusammen, tragen dazu bei, sie zu konstituieren, indem sie vom Rest der Welt abgeschnitten wird – der Jargon führt dazu, dass wenige Leute wirklich Zugang haben zum Inhalt einer technischen Konversation zwischen zwei Gerichtsmedizinern oder zwei Atomingenieuren z.B. Alle sektiererischen Vorgehensweisen äussern sich ebenfalls in der Sprache, und das ist kein Zufall, denn durch die Sprache vereinheitlicht und trennt man (vom Lateinischen sectum). Dank den „ielles“, „-teurese“ und „-E“ erkennt man sich gegenseitig wieder und schliesst sich in einer folkloristischen und identitären Behaglichkeit ein, die weit entfernt von jenen emanzipatorischen Zielen ist, die man sich gibt, und in einem gegenseitigen und verallgemeinerten gesellschaftlichen Unverständnis im Verhältnis zum Rest der Welt, wie, sagen wir es noch einmal, die Sekten und Gemeinschaften. An Passanten verteilte Flugblätter, auf Mauern geklebte Plakate sind nicht mehr verständlich für den Normalsterblichen (der übrigens verachtet wird, insbesondere aus diesem präzisen Grund, dass er nicht gemäss den institutionalisierten Vorgaben der diversen, derzeit gültigen praktischen anti-autoritären Handbücher lebt, isst, seine Fusspilze behandelt oder sich ausdrückt), nicht weil der Inhalt zu komplex ist, sondern schlicht und einfach, weil er nicht die gleiche Sprache benutzt. Wer würde sich an die Schriften Baudelaires oder Bakunins erinnern, wenn sie unter solchen normalisierenden und anti-poetischen Zwängen der Szene geschrieben worden wären? Ihre Kraft und ihre Verbreitung kommen eben genau von der poetischen Universalität und der unbeugsamen Singularität ihrer Sprache.

Auf dem Schlachtfeld der Sprache ist die Denkweise der Reglementierung und der Normalisierung und die Fokussierung auf die Form gezwungenermassen, was auch immer das angekündigte Ziel sein mag, gleichbedeutend mit der Tatsache, sich selber als Verwalter der gesellschaftlichen Gebräuche zu setzen und sich in jenem Lager zu verorten, welches den darin umkämpften emanzipatorischen und anti-autoritären Möglichkeiten im Weg steht.

Somit nein, die Feminisierung befreit die Frauen nicht, übrigens auch sonst niemanden.

Es wäre Zeit, diese tendenziell normativen und autoritären Haltungen aufzugeben, deren Makel darin liegt, sich Illusionen hinzugeben, um nach der Befreiung, in der Sprache, aber v.a. überall sonst, aller lebenden, männlichen, weiblichen oder anderen Wesen zu streben und sie möglich zu machen.

Und die Sprache, welche unterwegs erfunden werden wird, wird nicht das Werk einer Reglementierung sein, sondern eines Wirbelwindes des Lebens, von Kontingenzen, Überraschungen, Spontaneitäten und Abenteuern. Einzig das Unbekannte ist imstande, die Sprache zu verändern, und das Unbekannte ist überall.

Maria Desmers

Quelle

Erstmals erschienen in der Zeitschrift Des Ruines, Nr. 3/4, Anfang 2019.

Als Broschüre bei Ravage Éditions, Juli 2019.

Übersetzt aus dem Französischen von kommunisierung.net.


[1Diese Analyse findet man z.B. im Buch der Feministinnen Selma James und Mariarosa Dalla-Costa Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, sie wird jedoch meistens an einer vereinfachenden feministischen Sauce serviert, welche sie behaupten lässt, der Mann sei der Chef der Frau.

[2Das aktivistische Infoportal der Region Toulouse IAATA feminisiert z.B. auf autoritäre Art und Weise die zur Veröffentlichung vorgeschlagenen Texte.

[3Wir werden sehen, dass diese Art von Ausdruck metaphorisch ist, denn es ist nicht wirklich ersichtlich, wie ein grammatikalischer Genus irgendwie oder irgendjemandem nützen könnte.

[4Man kann ans Englische denken, oder an alle anderen Sprachen, die einen verallgemeinerten Gebrauch des Neutrums kennen.

[5Man könnte daraus den lustigen Vorschlag eines Schreibzwangs ohne „cis-maskuline“ Wörter ableiten, genau wie Perec in Anton Voyls Fortgang den Vokal verschwinden lässt, doch dafür müsste man wahrscheinlich Zugang zu einem Streben nach Kreativität und einer Verweigerung der Norm haben, davon scheinen die Anhänger der Feminisierung allerdings bewusst Abstand zu halten.

[6In anderen Sprachen, in welchen das Maskulinum nicht vorherrschend ist, seien es andere Eigenschaften, welche diese reale Herrschaft bezeugen.

[7Gustav Landauer, „Lernt nicht Esperanto!“ in Die freie Generation, Bd. 2, Nr. 5, November 1907, S. 147-150.

[8Siehe die Broschüre „L‘image, la mémoire et l‘oubli“, die für die Filmvorführung von Das fehlende Bild von Rithy Panh in der anarchistischen Bibliothek La Discordia im Januar 2017 herausgegeben worden ist, man kann den Text auch in dieser Nummer [der Zeitschrift] auf der S. 89 lesen.

[9Diesbezüglich kann man auf die Polemik verweisen, welche dieses „kollektive“ Portal (welches von einer eisernen Hand ohne Samthandschuh gehalten wird) dazu gebracht hat, den anarchistischen Verleger Ravage Éditions auszuschliessen, nachdem dieser anti-autoritäre Kritiken dieser neuen alternativistischen Machthaber der Dekonstruktion und wahrhaften neuen Polizisten des Denkens und der Sitten innerhalb linker politischer Szenen herausgegeben hat – z.B. die schöne Broschüre Aviv Etrebilal, „Papillons, amour libre et idéologie. Lettre sur l‘inconséquence“, 2013 oder die Broschüre Un contributeur du négatif, „De la banalisation des thèses ethno-différencialistes et communautaristes en milieu militant“, 2015.